Neuburg
„Deutschlands dienstälteste Tante Emma“ ist tot

Die Neuburgerin Renate Pessenbacher ist am Freitag mit 91 Jahren gestorben

03.10.2021 | Stand 03.10.2021, 17:20 Uhr

Voller Elan zeigte sich Renate Pessenbacher bei ihrem 90. Geburtstag, den sie im August 2020 feierte.

Von Josef Heumann

Neuburg –
Ihr Ladengeschäft war schon Filmkulisse, sie selbst eine Legende, beide scheinbar aus der Zeit gefallen und doch so gegenwärtig, lebensbejahend und von eminenter Wichtigkeit, die im Moment des Verlustes noch schmerzlicher spürbar wird. Das Ladengeschäft musste Renate Pessenbacher 2017 nach einem Unfall schließen. Jetzt ist auch sie gestorben, mit 91 Jahren. Ein Kapitel Alt-Neuburg ist unwiederbringlich zu Ende gegangen.

Voller Elan geistiger Vitalität, adrett wie stets und um eine kesse Antwort nie verlegen, wann immer die Situation es so wollte, feierte Renate Pessenbacher im August 2020 noch ihren 90. Geburtstag. Das im Stadtbild so markante Eckgebäude Theresienstraße/Wolfgang-Wilhelm-Platz war Anlaufstelle für viele Gratulanten an dem Tag. Hier im ersten Stock mit den prächtigen Stuckdecken lebte die Frau direkt über dem Geschäft, das ihr Leben war. Wäre sie drei Jahre davor nicht so folgenschwer gestürzt, wer weiß, ob sie mit 87 tatsächlich schon ihren Laden zugesperrt hätte, längst ein Unikum in einer anders gewordenen Handelswelt. In diesem Sommer kam ein Schlaganfall, von dem sich Renate Pessenbacher nicht mehr wirklich erholte.

„Deutschlands dienstälteste Tante Emma“ war nur einer der Ehrentitel, die ihr ihr langes Leben angedeihen ließ. Vom „Waisenkind, das Generationen von Kindern glücklich gemacht hat“, war jetzt in einem Nachruf auf die so besondere Frau mit dem so außergewöhnlichen Lebensweg zu lesen. Denn im Laden der Renate Pessenbacher gab es Dinge zu erwerben, die es sonst lange nicht mehr so zu kaufen gab: allerlei Schleckereien, Leckereien, Lakritz, Kau- und Weingummi jeglicher Farbe und Form, als lose Ware, stückweise und in Fünferl-Währung zu beziehen. Generationen von Schulkindern waren das Bestand im Wandel der Zeit gewährende Eckgeschäft und seine stets freundliche, aufgeschlossene, durchaus, wenn’s nötig war, auch resolute Inhaberin eine unersetzliche Anlaufstelle, Tante Emma eben.
Verlässlich tat bis zuletzt die Waage aus dem Jahr 1927 ihren Dienst, Teile der je wenig veränderten Ladenausstattung waren älter noch. Und spätestens seit diesem Wochenende die nicht unbegründete Frage nach dem Was-wird, kreisen die Immo-Geierblicke schon geraume Zeit über dem etwas vergessen erscheinenden Areal.

Jenseits aller wohl nicht zur Gänze vermeidbaren Nostalgie war 1987 schlagartig bewusst geworden, welch wichtige Funktion für das ganze Gebiet, die Altstadt inbegriffen, das kleine Geschäft als letztverbliebener Nahversorger hatte. Wenngleich von den Lieferketten der Großen längst abgehängt, schaffte es die taffe Frau stets, die Versorgung ihrer oftmals jahrzehntelang treuen Kundschaft mit Obst und frischem Gemüse zu sichern. Nicht Wenige schauten bald täglich vorbei, wie beschrieb Renate Pessenbacher in einem TV-Portrait über sie ihren Tagesablauf mal so schön, und „dann muss ich ratschen.“ Ratschen wie gesagt, nicht tratschen – auch dieser feine Unterschied adelte Renate Pessenbacher, eine Neuburger Institution, keine Neuburgerin von Geburt.

Als das Waisenhaus in Salzburg, in dem sie aufwuchs, von den Nazis geschlossen wurde, vermittelte sie neunjährig eine bemühte Nonne zu deren Bruder nach Neuburg. Und wäre sie nach der Mittleren Reife bei den Englischen Fräulein selbst so gerne Lehrerin geworden, meinte es die Mutter damals anders. „Der Laden nährt dich“ – das war 1948. Und Renate Pessenbacher folgte der Mutter. 50 Jahre lang, wo in stark sich ändernden Zeiten Renate Pessenbacher sich, ihrem Geschäft und den Menschen, die zu ihr kamen, treu blieb.

DK