49 Mitarbeiter arbeiten bei der Corona-Kontaktnachverfolgung - Derzeit 1000 Ingolstädter in Quarantäne

Mit Telefon und Nervennahrung

18.11.2020 | Stand 18.11.2020, 8:40 Uhr
Leitet das Corona-Tracing-Team des Gesundheitsamts: Stephanie Schelchshorn. −Foto: Stückle

Mit Telefon und Nervennahrung

(ty) Gleich am Eingang des zweiten Stocks im ehemaligen Landratsamtsgebäude Auf der Schanz steht ein kleiner Tisch aus weißem Carraramarmor. Darauf liegen ein Desinfektionsmittelspender und eine kleine Schale mit Gummibärchen. Ein wenig Nervennahrung kann nicht schaden, denn der Job, den das mittlerweile auf 49 Mitarbeiter aufgestockte Contact-Tracing-Team (CTT) zu verrichten hat, ist knochenhart.

Es ist eine Art Call-Center unter erschwerten Bedingungen, das unter Projektleitung von Stephanie Schelchshorn (52) von Montag bis Sonntag zum Teil bis zu zwölf Stunden am Tag damit beschäftigt ist, die Kontaktpersonen Covid-19-Positiver zu ermitteln, ihnen Verhaltensregeln zu geben, die nicht selten 14 Tage Quarantäne heißen, die Infizierten anzurufen und regelmäßig nach ihrem Zustand zu befragen - und ganz nebenbei noch die städtische Corona-Hotline zu bedienen. Allein hier gab es am Montag 388 Anrufe. Wegen der Software-Panne bei der Terminvergabe im Testzentrum (DK berichtete) waren es besonders viele. Normalerweise kommen täglich zwischen 250 und 350 Anrufe über die Hotline.

Seit wenigen Wochen residiert das Corona-Kontaktverfolgungsteam im ehemaligen Landratsamtsgebäude. Es ist die vierte Station der zum Gesundheitsamt gehörenden Abteilung, die vorhergehenden drei wurden vom Mal zu Mal zu klein. Der zweite Stock des jetzigen Gebäudes ist komplett belegt, im dritten wurden schon mal drei weitere Büros ausgestattet. "Im Vorgriff", wie Schelchshorn sagt. Falls die Infektionszahlen in Ingolstadt noch weiter steigen und das Team erneut vergrößert werden müsse. Begonnen hatte man mit der Kontaktverfolgung mit acht Mitarbeitern - alle vom städtischen Gesundheitsamt. Mit der Reiserückkehrwelle Ende August wurde das Team nach und nach ausgeweitet. Erst mit Kräften anderer Ämter, später mit Mitarbeitern weiterer Behörden wie Polizei, Bundeswehr, Luftfahrbundesamt, Finanzamt, Wasserwirtschaftsamt. Selbst das Bundeskriminalamt (BKA) hat Mitarbeiter für die Kontaktnachverfolgung nach Ingolstadt beordert.

Insgesamt arbeiten 40 Leute in der reinen Kontaktverfolgung. Neun weitere kümmern sich um die sogenannten Indexpersonen, die Corona-Positiven, die täglich angerufen und zu ihrem Gesundheitszustand befragt werden. 15 Mitarbeiter des Teams kommen vom Gesundheitsamt, 13 weitere von anderen Referaten und Ämtern der Stadt, die anderen sind Externe.

Per Mail oder Fax erhält die Hygieneabteilung des Gesundheitsamts einen positiven Befund aus dem Labor. Dann gilt es, die Person anzurufen, sie von dem positiven Testergebnis zu informieren und die Isolation anzuordnen. Der Betroffene wird aufgefordert, seine Kontaktpersonen anzugeben. Die Regeln dafür sind genau festgelegt. Mit wem kam der Positive zusammen - bei asymptomatischen Fällen bis zu zwei Tage vor Bekanntgabe des Testergebnisses, bei Menschen mit Symptomen bis zu 48 Stunden vor Auftreten der Symptome? Hatte man engen Kontakt zu einem Positiven (15 Minuten Gesprächssituation ohne Maske oder 30 Minuten mit Maske in einem schlecht belüfteten Raum) gilt man als Kontaktperson ersten Grades und muss 14 Tage in Quarantäne. Wer unter 15 Minuten ohne Maske oder weniger als 30 Minuten mit Maske Kontakt zu einem Corona-Positiven hatte, gilt als Kontaktperson zweiten Grades und muss nicht in Quarantäne. "Eine Testung wird aber immer empfohlen", so Schelchshorn. Ein negatives Ergebnis verkürze die Quarantänezeit nicht. "Wichtig ist, zu sagen, dass der Kontakt immer zum Positiven selbst, bestehen muss", betont Schelchshorn. Wenn jemand jemanden aus der Familie eines Positiven kennt, gilt er nicht als Kontaktperson. Für Schulen gelten wieder andere Regeln. Hier sei bei KP1-Personen immer ein Test anzuordnen.

1000 Kontaktpersonen ersten Grades waren am Dienstag in Quarantäne. Die Zahl ändert sich täglich, weil ständig neue Quarantänefälle hinzukommen, andere ihre Quarantänezeit beendet haben. Doch was, wenn man an einen Corona-Leugner gerät, der die Quarantäne nicht einhalten will? "Dann kommen wir schon mal mit einem Quarantänebescheid der Polizei."

Die Vernunft vieler angesichts steigender Infektionszahlen und zuletzt der Teil-Lockdown wirken sich positiv auf die Zahl der zu verfolgenden Kontakte aus. Die nötigen Anrufe sind weniger geworden. Vor einigen Monaten gab es schon mal Listen mit bis zu 200 Kontaktpersonen abzuarbeiten. Da braucht man Nerven. Und Gummibärchen. Von ihren Kollegen hat die Projektleiterin neulich eine Glaskugel geschenkt bekommen. Schließlich weiß niemand, wie es mit Corona weitergeht.