In den Herzen lebt sie fort
Zehn Jahre nach Mord an Franziska: Für die Eltern bleibt ihr Tod ein lebenslanges Trauma

10.02.2024 | Stand 11.02.2024, 6:06 Uhr

Am Feldkreuz neben dem Radweg zwischen Nassenfels und Möckenlohe erinnern Engelsfiguren und eine Kerze bis heute an das schreckliche Geschehen vom 15. Februar 2014. Hier hatte Stefan B. die zwölfjährige Franziska in sein Auto gezwungen, das kleine Mädchen später an einem Weiher bei Neuburg brutal vergewaltigt und anschließend umgebracht. Foto: Richter

Franziska O. aus Möckenlohe (Landkreis Eichstätt) starb vor zehn Jahren durch Mörderhand. Für die Eltern bleibt ihr Tod ein lebenslanges Trauma.



Es ist ein beklemmendes Gefühl, in diesem Raum zu stehen. Zehn Jahre schon ist er nahezu unberührt, so wie seine Bewohnerin ihn zuletzt verlassen hatte. Auf dem Schreibtisch neben einem Sofa liegt ein Klebestift, vielleicht hatte sie etwas gebastelt. Daneben eine Mappe mit Zeugnissen, das Bett ist sauber gemacht, an der Wand darüber hängt ein Poster des kanadischen Sängers Justin Bieber. In diesem Zimmer ihres Elternhauses in Möckenlohe (Kreis Eichstätt) hat Franziska O. (12) gelebt, fröhlich und glücklich. Ihre Spuren sind bis heute noch überall zu finden, obwohl das Mädchen schon seit 15. Februar 2014 tot ist. Es war damals eine Tragödie für alle, ein abscheuliches Verbrechen an einem Kind und bis heute unfassbar.

Täglicher Gute-Nacht-Gruß für die tote Tochter

Franziskas Vater Josef O. hat das Zimmer seiner Tochter seither nie mehr betreten. „Ich kann das einfach nicht“, sagt er mit feuchten Augen. Der Gedanke an das schreckliche Geschehen tut heute noch bis ins tiefste Innerste weh. Aber der 59-Jährige klopft jeden Tag vor dem Zubettgehen an die Tür der Tochter und sagt „Gute Nacht“. Noch immer hängt an der Türklinke eine Walnuss an einer Schnur, die Franzi, wie sie alle nannten, dort einmal quasi als Alarmanlage aufgehängt hat – das Klackern zeigte an, wenn jemand in ihr Zimmer kommen wollte.

An jenem 15. Februar vor zehn Jahren gab es leider keinen Alarm, als der eiskalt agierende Mörder das arglose Kind in sein Auto zwang. Franzi hatte an jenem Samstag mit dem Fahrrad eine Freundin im nahen Nassenfels besucht und wollte gern bei ihr übernachten, wie sie es schon früher getan hatte. Die beiden Mädchen verbringen den Nachmittag am Skaterplatz im Ort. Ganz in der Nähe sitzt der aus dem benachbarten Egweil stammende Stefan B. in einem Auto und beobachtet die Schülerinnen.

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Der damals 26-Jährige lebt zu dieser Zeit gerade in einer Neuburger Obdachlosenunterkunft. Er gilt als Sonderling, der sich zunehmend in die virtuelle Welt flüchtet, auf seiner Internetseite sind Gewaltfantasien zu finden, etwa das Bild eines Messers, das bis zum Heft in der Brust eines Menschen steckt. Bei der Polizei ist Stefan B. kein Unbekannter, unter anderem wegen „Aggressionsdelikten im Straßenverkehr“, wie es heißt, aber auch wegen Fahrens ohne Führerschein oder Körperverletzung.

Doch was an jenem Samstag im Februar 2014 folgt, ist eine andere Hausnummer und an Brutalität und Gnadenlosigkeit nicht zu übertreffen. Franzi beschließt am späteren Nachmittag, doch lieber wieder heimzuradeln, sie hat bereits bemerkt, dass ihr ein grünes Auto folgt. „Voll Angst“, schreibt sie einer Freundin über eine Textnachricht, doch die bleibt zu dieser Zeit ungelesen. Der junge Mann passt Franziska auf dem Rückweg an einer Sitzbank zwischen Nassenfels und Möckenlohe ab, zwingt sie in sein Auto, fährt an den Rathei-Weiher bei Neuburg-Zell, vergewaltigt und tötet das Kind schließlich. Selbst hartgesottene Ermittler müssen schlucken oder sich abwenden, als sie die Tote später sehen.

Wer sich an Kindern vergreift, gilt im Gefängnis als Abschaum

Noch während der Erkennungsdienst die Spuren am Tatort sichert, gerät Stefan B. als mutmaßlicher Mörder ins Visier, die Polizei nimmt ihn fest. Er soll seit seiner Verurteilung am 11. Mai 2015 zu lebenslanger Haft im Straubinger Gefängnis in der Einzelzelle sitzen, um Übergriffen anderer vorzubeugen – wer sich an Kindern vergreift, gilt hinter Gittern als unterste Kategorie und muss täglich mit Attacken rechnen. Wie es mit ihm weitergeht, darüber gibt die Staatsanwaltschaft keine Auskunft – der Verurteilte solle ja mal resozialisiert werden, da gehe sein Schutz vor, hieß es.

Das Wissen um das Leiden der Tochter und die Ohnmacht, weil sie ihr damals nicht beistehen konnten, bedrücken die Eltern schwer. „Die Todestage werden für uns jedes Jahr schlimmer“, sagt Bianca O. Die Mutter geht kaum noch weg, höchstens mal zum Einkaufen oder für eine Runde mit dem Hund und zwei Freundinnen. „Am liebsten wäre ich irgendwo anders, wie zuletzt im Urlaub an der Ostsee. Da fühle ich mich freier als hier, wo alles passiert ist“, sagt die 54-Jährige. „Franzi hat das Meer auch geliebt!“

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Jahrelang sind Bianca und Josef O. teils kilometerweite Umwege gefahren, um nicht da vorbeizukommen, wo der Mörder ihre Tochter verschleppt und nach Neuburg gebracht hat. Am Radweg bei Nassenfels stehen bis heute Kerzen und Engelsfiguren, Franziska lebt in den Herzen der Menschen fort. Das ist den Eltern ein großer Trost. Es gibt auch sonst immer wieder Verbindungen in die Vergangenheit. „Neulich ist plötzlich die Tanzlehrerin meiner Tochter vor mir gestanden“, sagt der Vater. Und erst kürzlich haben er und seine Frau erfahren, dass eine Helferin in ihrer Hausarztpraxis eine Schulkameradin von Franziska war. Da fließen dann Tränen, der Mord an dem Mädchen bleibt unfassbar.

Ohne Medikamente können die Eltern nicht schlafen

Josef O. wirkt inzwischen wesentlich stabiler als noch vor vier, fünf Jahren. Jeden Tag geht er an Franzis Grab. „Griasde Schatzi“, sagt er im Zwiegespräch mit der toten Tochter, um ihr dann von seinem Tagesablauf zu erzählen. Er braucht das, blickt auch wieder nach vorne, nachdem er und seine Frau anfangs kaum noch Lebensmut hatten. Bis heute können sie jedoch ohne Tabletten nicht schlafen. „Aber dieser Hass und die Wut auf den Mörder sind weg, das hat mich fast fertig gemacht.“

In Möckenlohe zeigen viele Verständnis für sie. Josef O. ist dort aufgewachsen, er möchte hier bleiben und bringt sich im Dorfleben ein. Manche meinen jedoch, irgendwann sei Schluss, man müsse die Dinge doch mal abhaken. „Aber wie soll das gehen? Du kannst nicht einfach einen Schalter umlegen“, sagen Franziskas Eltern. „Die Jahre sind vergangen, aber unsere Trauer nicht.“

DK