„Gmahde Wiesn“?
Viele offene Fragen machen Landtagswahl in Bayern spannend wie selten

01.10.2023 | Stand 05.10.2023, 12:53 Uhr

Selten war eine bayerische Landtagswahl so langweilig und so spannend zugleich.  − Foto: Imago

Monatelang galt die Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober als „gmahde Wiesn“ für Markus Söder und seine Koalition aus CSU und Freien Wählern. Viele offene Fragen machen es aber spannend wie selten.



Selten war eine bayerische Landtagswahl so langweilig und so spannend zugleich. Langweilig, weil - wenn die Alpen nicht vorher zusammenbrechen - klar ist, dass der alte Ministerpräsident auch der neue sein wird. Und dass Markus Söder und die CSU aller Voraussicht nach auch weiter mit den Freien Wählern als Koalitionspartner regieren werden.



Spannend aber wird die Wahl aus vielerlei anderen Gründen. Für Söder persönlich gilt der 8. Oktober als die Bewährungsprobe schlechthin. Schafft er es noch, das historisch schlechte CSU-Ergebnis von 2018 zu erreichen, als die Partei um mehr als zehn Punkte auf nur noch 37,2 Prozent abstürzte? Oder geht der Niedergang der CSU weiter, wie es die jüngsten Umfrageergebnisse zumindest andeuten?

Wie stark werden die Freien Wähler am Ende wirklich?



Zweitens: Wie stark werden die Freien Wähler am Ende wirklich? Die Flugblatt-Affäre um ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger hat der Partei zuletzt nochmals weitere Bekanntheit verschafft. In Umfragen erlebten Aiwanger & Co. seither einen ungekannten Höhenflug, lagen mit bis zu 17 Prozent rund fünf Punkte über ihrem Ergebnis von 2018. Aber halten diese Solidarisierungseffekte mit Aiwanger, dessen andauernder Kampagnen-Vorwurf bei manchen wirkt, bis zum Wahltag an? Aiwanger und viele Freie Wähler sehen sich dank des Höhenfluges gar mit einem Fuß im Bundestag, hoffen auf einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2025.

Drittens: Was wird aus der „bayerischen Ampel“? Bekommen Grüne, SPD und FDP sozusagen als Berliner Halbzeitbilanz die Quittung vieler Wähler in Bayern, die vor allem mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden sind? Verpasst die FDP mit Landeschef Martin Hagen gar die Fünf-Prozent-Hürde, wie es die Demoskopen vorhersagen? Und fährt die SPD von Landeschef Florian von Brunn nach 2018 erneut eine historische Pleite ein?

Wie schneidet die AfD diesmal ab?



Müssen sich die Grünen mit ihren ambitionierten Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann nach Platz zwei 2018 diesmal wieder weiter hinten einordnen? Insbesondere für Schulze sehen viele in Bayern, nicht nur bei den Grünen, bereits heute eine wichtige Rolle bei der Landtagswahl 2028. Dann könnte die mit Abstand bekannteste Landtagsgrüne ob ihres Alters nämlich erstmals Söder direkt herausfordern, da sie im Falle eines Wahlsieges auch formell Ministerpräsidentin werden könnte. Bisher verhinderte dies die in der Verfassung verankerte Altersgrenze für Ministerpräsidenten.

Und viertens: Wie schneidet die AfD diesmal ab? Fakt ist, dass die Rechtspopulisten, die in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet werden, hier weit von Umfragewerten in anderen Ländern entfernt sind. Dennoch räumen die Demoskopen ihnen Chancen ein, zweit- oder zumindest drittstärkste Kraft im Freistaat und damit gegebenenfalls größte Oppositionspartei zu werden - mit womöglich erheblichen Konsequenzen für ihren Status im Parlament, etwa wenn es um die Verteilung von Ausschuss-Vorsitzen oder Posten von Landtagsvizepräsidenten geht.

Söder spricht von Demut vor Wahl und Wählern



Söder gibt sich äußerlich demonstrativ gelassen, spricht von Demut vor Wahl und Wählern und glaubt, dass es meistens anders kommt, als die Umfragen vorhersagen. Den Höhenflug Aiwangers nennt er eine „Fieberkurve“. Die Nervosität bei ihm und den Christsozialen ist aber dennoch enorm. Wer hätte gedacht, dass Söder nach mehr als fünf Jahren Regierungszeit derart Sorgen haben muss, nicht noch weiter abzustürzen?

Zwar demonstrierte die Parteibasis am vergangenen Samstag beim Parteitag fast maximale Rückendeckung und schickte Söder mit einem Wiederwahl-Ergebnis von 96,6 Prozent auf die Wahlkampf-Zielgerade. Doch könnte der innerparteiliche Schulterschluss bei einem schwachen Wahlergebnis schnell auch wieder vergessen sein. Schließlich hätte in diesem Fall Söder auch nach über fünf Jahren im Amt nicht hinreichend nachgewiesen, dass er Wahlen überzeugend gewinnen kann.

Früher holte die CSU regelmäßig absolute Mehrheiten



Für Söders bundespolitische Ambitionen, von ihm selbst regelmäßig zurückgewiesen, könnte das der Todesstoß werden - zumindest wenn die CDU ihre Wahlen bis zur Kür des Unionskanzlerkandidaten im Herbst 2024 nicht ebenfalls in den Sand setzt.

Zur Erinnerung: Früher holte die CSU regelmäßig absolute Mehrheiten, mit Edmund Stoiber an der Spitze vor 20 Jahren sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Inzwischen ist schon die 40-Prozent-Marke fast außer Reichweite geraten. Kann Söder bei seinen Getreuen weiterhin vermitteln, dass dies vor allem externen gesellschaftlichen Einflüssen geschuldet ist? Und wie würden sie es Söder verzeihen, wenn er bei den Koalitionsverhandlungen den Freien Wählern noch ein weiteres Ministerium überlassen muss?

CSU befindet sich längst in einer neuen Zeitrechnung



Tatsächlich befindet sich die CSU längst in einer neuen Zeitrechnung: Rechts von ihr hat sich nicht nur die AfD eingenistet. Auch die Freien Wähler ziehen im rechtskonservativen Spektrum immer mehr Wähler an. Hubert Aiwangers Sprachgebrauch und Themenauswahl, mitunter angelehnt an die AfD, wird nur von wenigen Polit-Experten als Zufall betrachtet. Schaden nimmt die CSU. „Die Freien Wähler haben viel Zulauf aus der früheren Wählerschaft der CSU, das sind Landwirte, denen die CSU zu europafreundlich ist, die finden, die CSU habe zu lange dominiert. Denen ist die CSU zu abgehoben“, sagte etwa die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch kürzlich in der „Zeit“.

Und nach links ist auch nicht allzu viel Platz: Grüne und FDP streiten sich inzwischen um ein bürgerliches, besser verdienendes Wählerklientel. Die CSU erreiche das großstädtische Milieu längst nicht mehr, das sei von den Grünen besetzt, so Münch. Am 8. Oktober wird abgerechnet - dann gibt es keine Ausreden mehr.

− dpa