Sehnsucht nach dem Publikum

Endlich wieder Live-Kultur – Klar ist: Draußen geht mehr

16.07.2021 | Stand 16.07.2021, 7:33 Uhr
Kultur −Foto: Ludwig Olah

Endlich wieder Live-Kultur – Klar ist: Draußen geht mehr

(ty) Nach langen Monaten im Lockdown gibt es endlich wieder Live-Kultur: Theater, Konzerte, Ausstellungen - mit strengen Sicherheitsauflagen und viel Abstand, aber derzeit ohne Test. Wir wollten von den Veranstaltern wissen, wie die Besucher auf den Neustart der Kultur reagieren. Klar ist: Draußen geht mehr!

Ingolstädter Altstadttheater spielt an neuen Orten
Mit mehr Besuchern hätte Leni Brem-Keil vom Leitungsduo des Altstadttheaters gerechnet. "Denn während des Lockdowns hatte ich den Eindruck, dass es eine große Sehnsucht nach Kultur gibt und das Publikum es kaum erwarten kann, wieder ins Theater zu gehen. Es gibt schon auch ausverkaufte Vorstellungen, aber im Schnitt kommt etwa die Hälfte." Warum das so ist? "Vielleicht liegt es daran, dass die Leute nicht wissen, dass sie keinen Test mehr brauchen." Oder auch daran, dass das Altstadttheater nicht am angestammten Platz in der Kanalstraße spielen kann und deshalb auf wechselnde Veranstaltungsorte setzt - auf die Kulturhalle P3, das Bauerngerätemuseum, den Dachgarten des Kap94 oder den Backyard Beauty. "Ich dachte eigentlich, es sei spannend, neue Orte zu entdecken, aber manche Leute wollen vielleicht nicht so weit rausfahren", sagt die Regisseurin. Möglicherweise ist auch "das neue Zuhause-Gefühl" Grund für den zurückhaltenden Theaterbesuch - "nach dem Motto: Ich habe im letzten Jahr so ein bisschen entschleunigt, vielleicht sollte ich das beibehalten". Leni Brem-Keil jedenfalls steckt voller Tatendrang. Sie verzichtet auf eine Sommerpause und spielt den ganzen August durch: "Mein Credo ist: Wenn ich darf, dann mache ich das auch. Weil ich doch die Befürchtung habe, dass im Herbst oder Winter ein erneuter Lockdown kommen wird. Momentan sind die Bedingungen gut, die Inzidenzzahlen niedrig. Ich spiele, solange ich kann. Und wenn es das ganze Jahr durchgeht, ist es super. Im August spielen wir open air: Nick Paynes Was-wäre-wenn-Stück ,Konstellationen'. Da hoffe ich auf gutes Wetter. Und für den Herbst wünsche ich mir einfach Normalität."

Ausverkaufte Vorstellungen auf drei Open-Air-Bühnen
Dass das Publikum am Anfang zögerlich war, schiebt Knut Weber, Intendant des Stadttheaters Ingolstadt, auf das Wetter: "Es war ja ziemlich kalt und regnerisch und wir mussten viele Vorstellungen abbrechen. Aber in dem Moment, wo das Wetter besser wurde, sind die Leute tatsächlich ins Theater geströmt. Und eigentlich sind fast alle Vorstellungen bis zum Ende der Spielzeit ausverkauft." Und das, obwohl ein Theaterbesuch mühsamer geworden ist. Man muss im Vorfeld Tickets kaufen und sich an die Hygienevorschriften halten. Dass man neben der Eintrittskarte mittlerweile keinen aktuellen Test mehr benötige, macht es für viele einfacher. Und auch, dass open air gespielt wird - und das heuer auf drei Bühnen - spricht das Publikum laut Weber an. Aber natürlich ist in Corona-Zeiten durch die Sicherheits- und Hygieneregeln das Platzangebot reduziert: 30 Plätze gibt es auf der Sommerbühne, 100 im Reduit Tilly und 180 im Turm Baur. "In der Sommerpause wird die Lüftung im Haus saniert, das wird die Situation erleichtern, aber ich rechne in der Saison 2021/22 nicht mit einem normalen Betrieb. Wir haben deshalb ein Sonderabo aufgelegt für die kommende Saison. Weil wir davon ausgehen, dass es noch eine Weile dauert, bis sich die Leute wieder an einen normalen Kulturbetrieb gewöhnen werden."

Kap94: Neue Formate durch die Pandemie
"Wir Kulturschaffende erleben gerade eine zwiespältige Situation", meint Paula Gendrisch vom Kap94. "Auf der einen Seite erleben wir, wie die Kulturszene nach dem lähmenden Stillstand geradezu explodiert, was uns natürlich riesig freut. Und wir erhalten viele Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern, die wirklich glücklich sind, dass endlich wieder etwas passiert. Auf der anderen Seite gibt es aber offenbar noch eine große Zurückhaltung und vor allem Verunsicherung bei vielen Menschen, die sich fragen, was denn nun eigentlich wieder möglich ist, und was auch sicher ist. Bei den Spaziergängerkonzerten vor dem Kap94 zum Beispiel hatten wir vergangenes Jahr manchmal mehr Publikum als jetzt bei den ersten Konzerten nach dem Neustart. Trotzdem mussten wir bei unserem ersten kleinen Spaziergänger-Festival im Dachgarten teilweise Gäste wegschicken, weil wir sonst die Abstandsregeln nicht hätten einhalten können. Man muss ja auch sehen, dass diese Abstands- und Hygieneregeln für eine Einrichtung wie das Kap94, das von ehrenamtlichem Engagement lebt, eine große Mehrbelastung bedeuten. Das bringt uns auch personell an Grenzen. Unabhängig davon sind die regelmäßigen Spaziergängerkonzerte am Wochenende aber ein Format, das uns sehr ans Herz gewachsen ist - und das es ohne Corona gar nicht geben würde. Wir können damit Musikerinnen und Musikern aus der Region ein Podium bieten und erreichen gleichzeitig ein sehr breit gefächertes Publikum. Das ist genau das, was wir mit dem Kap94 wollen."

Konzertverein: "Die Leute sind heilfroh"
Den Umständen entsprechend zufrieden mit dem wieder anlaufenden Konzertbetrieb ist Eva-Maria Atzerodt, die erste Vorsitzende des Konzertvereins Ingolstadt. "Mein Eindruck ist, dass die Leute heilfroh sind, dass wieder etwas läuft", sagt sie. "Da nimmt man dann auch bestimmte Umstände in Kauf." Allerdings sind bedingt durch die Corona-Krise die Anzahl der Abonnenten zurückgegangen auf etwas mehr als 400. Die Konzerte im Ingolstädter Festsaal dürfen inzwischen vor 250 Besuchern stattfinden, noch vor kurzem waren nur 200 Gäste zugelassen - was ein Problem darstellte, da so nicht alle Abonnenten in den beiden Konzerten, die pro Programm anberaumt werden, untergebracht werden können. Allerdings ließen sich gerade bei den ersten Konzerten im Juni einige Konzertgänger auch von dem Corona-Test, der vorgelegt werden sollte, abschrecken. Auch die Maskenpflicht während des Konzerts ist für manche Musikfreunde ein Hinderungsgrund.

Kulturamt: Kartenverkauf für Kabaretttage zieht an
Optimistisch blickt auch Matthias Neuburger, Bereichsleiter im Kulturamt Ingolstadt, in die Zukunft. "Es läuft eigentlich ganz gut", sagt er und bezieht sich dabei auf die gerade zu Ende gegangenen Tanztage und einige Konzerte. Ein Sorgenkind war anfangs noch der Vorverkauf der Kabaretttage, die diesmal erstmals vom neuen künstlerischen Leiter Andreas Hofmeir konzipiert wurden. "Aber wir merken, dass der Kartenverkauf allmählich anzieht", meint Neuburger. Er führt die Zurückhaltung des Publikums auch auf die allzu gebremsten Werbemaßnahmen zurück. "Zuletzt konnten wir noch nicht so werben, wie wir es gerne wollten." Dankbar ist Neuburger für die Fördermaßnahme der Bundesregierung "Neustart Kultur". Dadurch werde die Trotzdemjetzt-Bühne vor dem Kulturzentrum neun überhaupt erst ermöglicht. Außerdem würde Geld auch an zahlreiche andere Ingolstädter Kulturinstitutionen fließen, etwa an das Kap94.

Eventhalle: Durststrecke über den gesamten Herbst
Unzufrieden mit der derzeitigen Situation ist hingegen David Krebs, der als Geschäftsführer die Eventhalle in Ingolstadt betreibt. Er hat bisher erst ein Konzert dort veranstaltet. "Es war schön, dass die Bands wieder spielen und die Leute kommen. Aber mit 95 zugelassenen Besuchern kann man wirtschaftlich keine Halle führen", sagt er. Dafür beginnt Krebs nun wieder, wie schon im vergangenen Jahr, mit Picknick-Konzerten, allein in Geisenfeld sind 15 Termine geplant. "Da läuft es ganz gut", sagt er. Über den gesamten Herbst hinweg rechnet der Geschäftsführer mit einer Durststrecke, erst Anfang des kommenden Jahres hofft er wieder voll durchzustarten mit ausverkauften Sälen. Bis dahin steht das wirtschaftliche Überleben auf Messers Schneide. Spielstätten-Förderung vom Bund hat er bekommen, einen Teil der Unterstützung muss er allerdings wohl wieder zurückzahlen, um eine Doppelförderung zu vermeiden. Krebs klagt über die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Fördermaßnahmen. "Man hat das Gefühl, die Anträge sind schwierig gestaltet, damit nicht zu viel beantragt wird", sagt er. Von der Stadt Ingolstadt übrigens fühlt er sich alleingelassen. "Dort haben wir überhaupt keine Hilfen bekommen, auch Nachfragen haben nicht geholfen."

MKK: "Das Bedürfnis und die Nachfrage sind da"
Zuversichtlich und zufrieden ist Theres Rohde, Interimsdirektorin des Museums für Konkrete Kunst (MKK). Die Leute wollen wieder ins Museum. "Das Bedürfnis und die Nachfrage sind da." Das klappt bei Ausstellungen - etwa den aktuellen von Inge Dick und Susa Templin - gut. Schwieriger sei es noch immer aufgrund der Beschränkungen und Abstandsregeln mit Workshops, museumspädagogischen Angeboten und mit Führungen, etwa für Schulklassen. Letztere sind noch immer nur sehr eingeschränkt möglich. Und bei den Workshops im Kreativlabor sei die Teilnehmerzahl begrenzt. "Dennoch bieten wir sie an", sagt Theres Rohde. "Wir wollen das, und es ist unser Auftrag, unsere Aufgabe." Das Museum fährt also dreigleisig. Auch mit digitalen Workshops, die ausgebucht seien, nicht selten mit Teilnehmern aus ganz Deutschland, hybrid, etwa mit einer digitalen Eröffnung mit anschließenden Timeslots - und das Live-Erlebnis im Haus. Sie versteht, wenn Anrufer sich mehr Vor-Ort-Angebote wünschen, nimmt es gerne auch als Kompliment, "dass unser Museum gefragt ist". Die Corona-Regeln hätten aber etwa die Übertragung der jüngsten Vernissage nach draußen leider nicht zugelassen. "Wenn sich vor dem Haus möglicherweise Menschengruppen bilden." Und sie kann auch verstehen, wenn sich Leute an sonnigen Tagen lieber im Biergarten treffen. Um zu zehnt an einem Tisch zu sitzen, während man im Museum 1,5-Meter-Abstand halten müsse. Theres Rohde und ihr Team sind grundsätzlich weiter optimistisch und planen für den 18. September endlich wieder einmal eine der legendären "Art and Beat Kunstnächte". "Wir hoffen, dass wir sie nicht absagen müssen."