Kritischer Geist mit Humor und Gelassenheit

Wolfgang Krebs, ehemaliger Dramaturg am Stadttheater Ingolstadt, wird heute 95

09.01.2021 | Stand 09.01.2021, 7:08 Uhr
Krebs −Foto: Herbert

Wolfgang Krebs, ehemaliger Dramaturg am Stadttheater Ingolstadt, wird heute 95

(ty) Vor fünf Jahren um diese Zeit war Wolfgang Krebs in Andalusien, um dort mit seiner Frau, der promovierten Theaterwissenschaftlerin und Kulturjournalistin Isabella Kreim, seinen 90. Geburtstag zu feiern.

Heuer ist alles anders. Corona vereitelt Reisepläne, aber auch in den eigenen Räumen viele Geburtstagsgäste zu empfangen. Stattdessen, so ist zu vermuten, wird das Telefon häufig klingeln, werden viele gute Wünsche Wolfgang Krebs erreichen, der an diesem Samstag 95 Jahre alt wird. Der Mann mit der schlohweißen Haarpracht als unveränderlichem Kennzeichen blickt auf ein reiches und intensives Theaterleben zurück. 70 Jahre stand er hinter und auf der Bühne. Als Regieassistent, als Dramaturg und Schauspieler. Zeitlebens ist er begeisterter Theaterbesucher, der in Ingolstadt noch immer die Premieren besucht, der von Intendant Knut Weber als "Glücksfall" spricht und regen Anteil am Kulturleben und Kulturgeschehen der Stadt nimmt. Geschätzt wird er unter anderem für seinen analytischen und kritischen Geist, als aufmerksamer Zuhörer und für seinen feinen Humor mit einer Portion Sarkasmus.

Seit 1973 lebt Wolfgang Krebs in Ingolstadt. Gemeinsam mit einer Reihe außergewöhnlicher Theaterleute, die das Theaterleben in Ingolstadt und die Stadt damit geprägt haben, kam er von Oberhausen an die Donau. Mit dem späteren Intendanten Ernst Seiltgen (1928-2004), dem Bühnenbildner Konrad Kulke, den Schauspielern Ellen Brugger (1938-2011) oder Günter Kappel (1928-2007). Vorbehalte hätten sie gehabt gegen das "tiefschwarze Bayern", erinnert sich Krebs. Und trafen hingegen auf ein aufgeschlossenes Publikum und weitsichtige und liberale Politiker, allen voran der damalige Oberbürgermeister Peter Schnell (CSU). Mit Seiltgen, Krebs und Co brach in Ingolstadt eine neue Ära an, die auch mit hohen Abonnentenzahlen und bundesweiter Resonanz belohnt wurde.

Sie öffneten das Theater in die Stadt hinein, entwickelten das Freilichttheater, Musical, Schulspieltage, Theater für Kinder und Jugendliche weit über das bisherige "Märchenstück" hinaus. Wichtig sei ihnen, so erinnert sich Krebs, das alljährliche "Bewältigungsstück" gewesen. Ein Werk, das sich mit der politischen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzte. Von Bertolt Brechts "Schweyk im zweiten Weltkrieg" bis zu Franz Werfels "Jakobowski und der Oberst". "Diese Thematik muss man wachhalten, denn so etwas darf sich nie wiederholen", begründete Krebs damals sein Engagement.

Die zweite Konstante im Spielplan war ein Stück kritisches bayerisches Volkstheater. Unvergesslich ist ihm auch die Collage "Verbrannte Dichter. Szenen, Lieder und Gedichte aus dem Exil" von Rainer Behrend und der Musik von Jürgen Knieper, die in der Spielzeit 1979/1980 ihre westdeutsche Erstaufführung in Ingolstadt erlebte, vom BR aufgenommen wurde und auf Dänemark-Tournee ging. Damals wie heute gilt ihm, dass "Theater ein Platz ist, um sich mit Geschichte und den drängenden Problemen der Zeit auseinanderzusetzen".

Geboren wurde Wolfgang Krebs am 9. Januar 1926. Seine Eltern verließen Schlesien Anfang der 30er Jahre und zogen nach Thüringen. Zunächst nach Suhl, dann nach Weimar. Eine Stadt, die Krebs bis heute liebt und sie regelmäßig besucht. Seine Familie blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg dort, während er 1947 nach Wilhelmshaven ging. Danach folgten Stationen in Ulm, Gelsenkirchen, Castrop-Rauxel, Tübingen, Oberhausen - und dann Ingolstadt.

1986 endete hier seine Tätigkeit als Dramaturg, danach trat Wolfgang Krebs jedoch weiterhin als Schauspieler auf. Er setzte sich seit den 90er Jahren außerdem - stets kritischer Geist und politisch denkender Mensch mit einer Abneigung gegen Obrigkeiten und Ungerechtigkeiten - mit seiner Jugend im Dritten Reich auseinander, als Zeitzeuge der dunkelsten Jahre deutscher Geschichte. Geträumt habe er von seinen Jugend- und Kriegserlebnissen immer wieder. Irgendwann setzte die Macht der Erinnerungen ein und der Mut zurückzuschauen, in seinem Kriegstagebuch zu blättern. Über die "Badische Zeitung" in Freiburg ergaben sich Kontakte zum Elsässer André Hugel, der damals den Angriff "Habicht" in seinem Heimatort Riquewihr miterlebt hatte, und Eberhard Neher, damals in der gleichen Einheit wie Krebs. Sie schrieben 2006 gemeinsam das Buch "Wir waren Feinde. Elsässer, Deutsche, Amerikaner erinnern an die Kämpfe um Poche de Colmar im Dezember 1944" und Wolfgang Krebs 2008 seine schonungslose und erhellende Biografie: "Und sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben". Er ging damit auch in Schulen, diskutierte über Verantwortung, NS-Zeit, Nationalismus. Mahnte, erinnerte. Bis heute. Argwöhnisch und kritisch beobachtet er die "braune Soße", die etwa unter den "Quer- und Hilfsdenkern" in der Corona-Zeit brodele.

Was fehlt ihm in den Monaten der Pandemie? Er vermisse am ehesten das "freie Atmen" - mit Blick auf die Maske. Doch er ist geduldig und hofft darauf, sich bald wieder unbefangen mit Familie und Freunden zu treffen, sich zu umarmen und in Theaterpremieren zu gehen. Ob die Pandemie ihm Angst mache? Nein, Angst sei kein guter Berater, sagt er. "Ich übe mich viel eher in Gelassenheit. " Erst vor kurzem hat er eine Biografie von Helmut Schmidt gelesen, der sich auch um eine "innere Gelassenheit" bemühte.

Ob er Sorge hat, dass das Kulturleben durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie finanziell leiden könnte? Er hofft, dass die Kultur nicht an den Rand gedrängt wird, und ist erleichtert, dass sich der Ingolstädter OB Christian Scharpf (SPD) zum Bau der Kammerspiele und der Sanierung des Stadttheaters bekennt. "Theater hat eine große Relevanz für die Gesellschaft und hat auch eine Zukunft", ist sich der langjährige und erfahrene Theatermann sicher.

Wolfgang Krebs sagt, dass er zeitlebens viel Glück gehabt habe. Als Kind, als Jugendlicher, während des Kriegs, danach. Immer wieder. Dafür sei er sehr dankbar.