„Ich bin nicht ihr Mörder!“

Landgericht: Angeklagter gibt zu, am Tatabend im Haus der 80-Jährigen gewesen zu sein – der Täter sei er nicht

16.09.2020 | Stand 16.09.2020, 8:26 Uhr
Gericht −Foto: Schmatloch

Landgericht: Angeklagter gibt zu, am Tatabend im Haus der 80-Jährigen gewesen zu sein – der Täter sei er nicht

Seit zehn Monaten sitzt er in Untersuchungshaft, seit mehr als einem Monat wird am Ingolstädter Landgericht gegen ihn verhandelt, inzwischen schon sieben Prozesstage. Am Dienstag nun hat sich der mutmaßliche Mörder der 80-jährigen Rentnerin im Ingolstädter Südwesten doch noch zu den schweren Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Ingolstadt geäußert – und er wies sie zurück. „Es tut mir leid für den Sohn, aber ich habe sie nicht getötet. Ich bin nicht ihr Mörder!“, sagte er an die Adresse des Nebenklägers gerichtet.

Ein Statement des Mordangeklagten war in dem weit fortgeschrittenen Prozess jetzt erwartet worden. Der Vorsitzende der Schwurkammer, Landgerichtsvizepräsident Konrad Kliegl, hatte dem 28-jährigen Brasilianer angesichts der sich angehäuften Beweislage dringend geraten gehabt, seine Position zu überdenken. Doch statt eines vollumfänglichen Geständnisses kam jetzt eine längere Einlassung, die in Teilen überraschte, in anderen nicht. Denn dass sich die grundsätzliche Haltung des jungen Mannes geändert und er nun doch noch hätte umfassend reinen Tisch machen wollen, darauf hatte in dem Prozess bisher tatsächlich kaum etwas hingedeutet. Selbst wenn ein Fingerabdruck des Angeklagten auf Klebeband direkt an der Leiche, DNA-Spuren (an einer Plastiktüte und einer Schmuckschatulle) und eine ihm gehörende Visitenkarte am Tatort gefunden beziehungsweise relativ zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten.

Überraschend war die Geschichte des Angeklagten aber insofern, als dass er voll eingestand, am Tatabend (11. November 2019) im Haus der brutal getöteten Rentnerin gewesen zu sein. Er habe eigentlich zu seinen befreundeten Nachbarn gewollt, diese aber nicht angetroffen. Als er dann Licht am Haus der (ihm aber angeblich nicht persönlich bekannten) Vermieterin nebenan gesehen habe, sei er dorthin, um nachzufragen. Die Türen seien offen gewesen. Aus Neugier sei er weiter. Im Keller habe er die bereits tote Frau gefunden – mit einer Plastiktüte über dem Kopf sowie 25 (!) Meter Klebeband umwickelt – und umgehend das Haus wieder verlassen. „In Panik“, wie er sagte.

Warum der bereits polizeibekannte Brasilianer dann die Polizei nicht angerufen hatte, begründete er so: Er habe nicht unschuldig beschuldigt werden und seine Familie da raushalten wollen. Vier Tage nach dem Tatabend und zwei Tage nach dem Leichenfund wurde er als dringend tatverdächtig festgenommen. „Sie sind unschuldig und sitzen seit zehn Monaten in Untersuchungshaft. Warum haben Sie das so geduldig über sich ergehen lassen?“, fragte Richter Kliegl. Nach aller Lebenserfahrung würde man davon ausgehen, dass ein Unschuldiger oder sich dafür haltender Beschuldigter, zumal mit einer Mordanklage und der Aussicht auf eine lebenslängliche Gefängnisstrafe konfrontiert, in solchen Fällen die Wand hochgehen würde und keine Nacht ruhig schlafen könnte. Eine schlagende Antwort für sein langes Schweigen konnte der Angeklagte, der stets eine aufgeschlagene Bibel vor sich liegen hat, nicht liefern. Außer: Er ertrage es, denn „ich habe einen Fehler gemacht und nicht die Polizei gerufen“.

Nach seinen Worten nun ist er das Opfer eines großen Komplotts, den angeblich die einst befreundete Mieter-Familie im Nachbarhaus geschmiedet haben müsse, um ihm die einer Hinrichtung gleichende Tötung der 80-Jährigen anzulasten. Die Mieter hätten Streit um einen beim Auszug kurz zuvor entstandenen Schaden mit der nicht als einfach geltenden Vermieterin gehabt. Von diesem Motiv gehen wohl auch die Angehörigen des Angeklagten aus, die stets zahlreich im Sitzungssaal vertreten sind, und auch schon mit dieser These im Prozess ausgesagt haben. „Er könnte so etwas nie machen“, sagte etwa die Schwester des 28-Jährigen voller Überzeugung im Zeugenstand. Bei ihr hatte der arbeitslose Angeklagte vor seiner Festnahme gewohnt. Auch sie glaube an eine Verschwörung und drapierte Beweisstücke am Tatort.

Wie seine Spuren dorthin kamen, habe natürlich mit seinem Erscheinen dort zu tun, erklärte der Angeklagte nun mit seiner Version. Ob die wirklich glaubhaft erscheint oder eine (reine) Lügengeschichte ist, das wird nun die Schwurkammer prüfen und dafür noch weitere Verhandlungstage bis in den Oktober hinein brauchen.

Was der Täter – ob der Brasilianer oder tatsächlich jemand anderes – der 80-Jährigen angetan hat, das bekamen alle Zuhörer im Sitzungssaal am Dienstag vor Augen geführt, als Rechtsmediziner Randolph Penning die Obduktionsergebnisse vortrug und mittels Beamer bebilderte. Vor den blutigen Ansichten warnten Richter wie auch Sachverständiger, doch alle hielten aus. Auf das Grausamste waren dem gewürgt und verprügelten Opfer mit dem Tapeband alle Atemwege und die Augen in mehreren Lagen zugeklebt und dann noch die Plastiktüte übergestülpt worden. Ein Akt extremer Brutalität, für dessen Dimension im Moment in keiner Weise ein Motiv nur im Ansatz erkennbar ist. Egal von wem.

Von Christian Rehberger