"Er hat sie gepackt - und schon war sie drüber"

Balkonsturz einer Frau nach Partnerschaftsstreit: Schwierige Wahrheitssuche vor dem Amtsgericht

12.03.2020 | Stand 12.03.2020, 8:14 Uhr
Gericht −Foto: Schmatloch

Balkonsturz einer Frau nach Partnerschaftsstreit: Schwierige Wahrheitssuche vor dem Amtsgericht

Ein ganz offensichtlich schwer eskalierter Streit in einer Partnerschaft mit beträchtlichen körperlichen Folgen für eine 40-jährige Frau beschäftigt das Schöffengericht. Der Vorfall aus dem Ingolstädter Nordostviertel vom vergangenen August war von der Polizei zunächst als versuchtes Tötungsdelikt eingestuft worden. Mittlerweile deutet einiges darauf hin, dass es sich - wenn überhaupt - um eine gefährliche Körperverletzung gehandelt haben könnte, so denn auch die Anklage der Staatsanwaltschaft. Das Gericht unter Vorsitz von Amtsgerichts-Vizedirektor Günter Mayerhöfer ist vor allem auf Zeugenaussagen angewiesen, denn der mutmaßliche Täter und das Opfer schweigen.

Es war der Abend des 5. August, als eine Anwohnerin eines größeren Mietwohnungskomplexes von einem Fenster aus zunächst ungewöhnliche Aktivitäten und dann ein Gerangel auf dem Balkon einer gegenüber liegenden Wohnung mitbekam. Dort habe ein Mann, halb verdeckt vom Geländer, schlagende Bewegungen Richtung Boden gemacht, so sagte die Zeugin jetzt vor Gericht aus. Plötzlich habe er dann eine Frau an den Armen vom Boden hochgezogen, die wenige Augenblicke später über die Brüstung gekippt sei. "Er hat sie gepackt - und schon war sie drüber", so die Schilderung der Nachbarin. Die Frau sei noch kurz von dem Mann an einem Arm festgehalten worden und dann abgestürzt.

Der Sohn der Zeugin hatte alsdann die Polizei gerufen; kurz darauf waren eine Streifenbesatzung und auch Rettungskräfte zur Stelle gewesen. Die abgestürzte Frau - sie war gut vier Meter tief gefallen und auf gepflastertem Grund aufgeschlagen - hatte sich am linken Unterschenkel einen Schien- und Wadenbeinbruch sowie einen Bruch des Sprunggelenks zugezogen. Der Mann vom Balkon, inzwischen 52 Jahre alt, hatte einer Flurnachbarin unmittelbar vor seiner Festnahme noch erzählt, dass ihn die Frau mit einem Messer angegriffen habe und dann vom Balkon gesprungen sei.

Was stimmt nun? Die Wahrheitssuche vor dem Amtsgericht gestaltet sich insofern schwierig, als das Opfer keine Angaben machen will. Das legal eingewanderte Paar stammt aus Nigeria und ist dort angeblich nach afrikanischem Ritus getraut worden. Die Zeremonie hat zwar nach deutschem Recht keine Gültigkeit, doch mochte Richter Mayerhöfer hier nicht päpstlicher sein als der Papst: Er gewährte der Frau ein Aussageverweigerungsrecht wie es einer Ehefrau (oder Verlobten) zusteht. Sie stehe zu ihrem Mann und liebe ihn noch immer, ließ die Partnerin des Angeklagten, die inzwischen im Alpenvorland lebt, das Gericht immerhin über die Dolmetscherin wissen.

Der Angeklagte, der in Ingolstadt als Industriearbeiter beschäftigt ist und im August eine gute Woche lang in Untersuchungshaft gesessen hat, schweigt auf Anraten seiner beiden Verteidiger ebenfalls. Zu seinem Lebenslauf machte er allerdings Angaben. Demnach hat er bis zu seinem 29. Lebensjahr in seiner Heimat gelebt, ist früher zur See gefahren und hat seit 2012 seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik. Er hat neben der nigerianischen inzwischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit und eine Vorahndung (Geldstrafe) wegen einer kleinen Betrugssache.

Das Gericht hörte gestern noch eine Rechtsmedizinerin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität an, die die Beinverletzung der Frau als durchaus kompliziert und typisch für eine Stauchung durch einen harten Aufprall beschrieb. Das Verletzungsbild sei sowohl mit der Beobachtung der Zeugin aus dem Nachbarhaus, theoretisch aber auch mit einem Sprung aus größerer Höhe zu erklären.

Die Sachverständige hatte allerdings auch den damaligen Beschuldigten und jetzigen Angeklagten untersucht. Dieser hatte mehrere kleinere Schnittverletzungen am Hals und auch an der rechten Hand aufgewiesen, die durchaus von einem Messer stammen könnten und die der Mann sich offenbar auch nicht selbst beigebracht habe. In der Wohnung hatte die Polizei damals einen Messergriff und vor dem Haus die dazugehörige abgebrochene Klinge gefunden. - Das Verfahren soll am morgigen Freitag fortgesetzt und womöglich auch abgeschlossen werden.

Von Bernd Heimerl