Schadensersatzforderungen wegen Abgasmanipulationen gingen am Landgericht Ingolstadt stark zurück
Dieselklageflut ebbt ab

30.04.2023 | Stand 01.05.2023, 7:05 Uhr
−Foto: Christoph Soeder/dpa

Von Horst Richter

Der Dieselskandal ist nicht nur im Münchner Betrugsprozess um manipulierte Abgastechnik bei Selbstzündern von Audi ein Thema. Seit September 2020 versucht die 5. Große Strafkammer am Landgericht München II zu klären, wer für diese Machenschaften verantwortlich ist. Daneben beschäftigt sich vor allem das Landgericht Ingolstadt mit diesem Thema, wobei hier in erster Linie zivilrechtliche Forderungen im Fokus stehen: Weil der Stammsitz des Autoherstellers samt Gerichtsstand in Ingolstadt liegt, ist die Justiz in der Schanz für solche Klagen zuständig. Das hat die Behörde zeitweise an die Belastungsgrenze gebracht. Diese Welle ist inzwischen jedoch abgeebbt – und „die Tendenz geht weiter nach unten“, berichtete Landgerichtspräsidentin Elisabeth Kurzweil.

Der Skandal um illegale Abgastechnik in Dieselautos war im September 2015 in den USA bekannt geworden. Nach und nach stellte sich heraus, dass auch Fahrzeuge auf dem EU-Markt betroffen waren. Die Zahl der Kläger, die von Audi eine Rückabwicklung des Kaufvertrags oder Schadensersatz wollten, hielt sich anfangs jedoch in Grenzen. „2017 war die Welt am Landgericht Ingolstadt noch normal“, sagte Elisabeth Kurzweil. Damals hatte es 1764 Zivilverfahren gegeben, nicht einmal 200 standen in Zusammenhang mit der „Dieselklagewelle“, wie sich die Affäre behördenintern und wertneutral nennt. Doch das änderte sich rasch: 2018 stiegen die Zivilsachen auf 2673 (davon 900 bis 1100 Dieselklagen), 2019 auf 4112 (davon 2400 bis 2600 Dieselklagen) und 2020 auf 5062 (davon 3300 bis 3500 wegen des Dieselskandals). 2021 erfolgte ein Rückgang auf 3258 (davon 1723 wegen der Dieselaffäre), um im Jahr 2022 mit 1816 (davon 603 Dieselfälle) fast wieder Normalniveau zu erreichen.

Die Akten hatten sich am Landgericht zeitweise fast bis unter die Decke gestapelt, man habe sogar entgegen sonstiger Praxis Blätter beidseitig bedruckt, um den Papierberg zu minimieren, hieß es. Die Behörde erhielt zudem personelle Verstärkung – und führte im Mai 2021 als erstes Landgericht in Bayern die elektronische Akte ein. Das beschleunigt die Aufarbeitung. „Da sind wir stolz drauf“, sagte die Präsidentin. Derzeit gebe es noch 2672 laufende Verfahren, wovon 2357 bereits elektronisch erfasst seien. „Die Not war so groß, dass alle die E-Akte gerne angenommen haben.“ 

Klagen in Sachen Dieselbetrug gehen auch aus dem Ausland ein. Um 2020 schwappten plötzlich 825 Verfahren aus Spanien herein – sie müssten nach spanischem Recht behandelt werden, was die Sache erschwere. Doch auch da scheint sich die Ingolstädter Justiz auf einem guten Weg zu befinden. Das Ganze kann freilich schnell wieder umschnappen: „Die Dieselklagen kommen in Wellen“, stellte Justizsprecher Thomas Schlappa fest – mit neuen rechtlichen Vorgaben gebe es neue Forderungen. So hatte der Europäische Gerichtshof erst im März die Haftung von Autoherstellern erweitert, falls sie illegale Abschalttechnik in ihren Abgassystemen verwendet haben – schon aus fahrlässigem Handeln ergeben sich weitere Pflichten. „Da könnte es schon sein, dass es eine neue Klagewelle gibt“, heißt es am Landgericht Ingolstadt.