„Wir haben es in der Hand, wie wir unsere Stadt erneuern“

Schwerpunkte der Rede des Oberbürgermeisters anlässlich des Neujahrsempfangs im Festsaal des Stadttheaters

13.01.2020 | Stand 13.01.2020, 20:41 Uhr
empfang3 −Foto: SCHMATLOCH

Schwerpunkte der Rede des Oberbürgermeisters anlässlich des Neujahrsempfangs im Festsaal des Stadttheaters

(ty) „Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrzehnts, eines Jahrzehnts, das für uns alle – die Unternehmen, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und die Politik enorme Chancen, aber auch enorme Herausforderungen bringt.“ Mit diesen Worten eröffnete Oberbürgermeister Christian Lösel seine Rede beim Neujahrsempfang der Stadt im Festsaal des Stadttheaters vor rund 1400 Vertreten aus allen Bereichen der Ingolstädter Gesellschaft. Ein Jahrzehnt, das entweder eine Fortsetzung der permanenten Krisen der Vergangenheit sein werde, oder aber ein Jahrzehnt, das „wir gemeinsam zu den goldenen Zwanzigern machen können.“

Zunächst streifte er nicht zuletzt in Anbetracht der bevorstehenden Kommunalwahl das Thema Politik. „Zwei Jahrzehnte lang konzentrierte sich die Mehrheit der Wähler in der Mitte des politischen Spektrums. Alle Parteien strebten in die Mitte, bis ihre Charakteristika ineinander verschwammen und sie austauschbar erschienen. Die „GroKo“ war das unausweichliche Koalitionsmodell. Nun, Anfang des neuen Jahrzehnts, haben wir es in Deutschland mit einer bi-modalen oder tri-modalen Wählerverteilung zu tun, also mit mehreren, sich unterscheidenden Wähler-Milieus: ein linkes, ein rechtes und ein grünes Spektrum. Es gibt wieder Richtungswahlen.

Dass die „fridays for future“-Bewegung mit dem Finger auf Eltern und Großeltern zeige und Sätze präge wie „How dare you!“ („Wie könnt ihr nur!) und „Ihr habt mir meine Kindheit gestohlen!“ oder den eigenen Großeltern das allgemeine Mitspracherecht abspreche, sei ebenso wenig zielführend, wie manch verächtliche Aussage von Erwachsenen, dass Kinder und Enkel nur deswegen demonstrierten, um die Schule zu schwänzen und es ihnen doch gar nicht um die Zukunft gehe.

„Beides bringt uns doch nicht weiter“, so der OB, „wir müssen vielmehr aufeinander zugehen, die Gesellschaft zusammenbringen und gemeinsam Probleme lösen. Gleichzeitig trifft uns die volle Wucht des technologischen Umbruchs und des Klimawandels. Selten zuvor ging es um zwei so hochwertige Güter: Überleben der Umwelt und Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes und damit des Wohlstandes. Diese Umbrüche im Ökologischen, Politischen und Technologischen, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft können wir nicht aufhalten. Sehr wohl,können wir sie aber positiv gestalten, Sorgen und Ängste vor Veränderungen aufnehmen und aktiv handeln. Was müsse wir aber tun, um aus dem kommenden Jahrzehnt keine weitere Dekade der Krisen und Dissonanzen zu machen, kein „Zorniges Jahrzehnt“, wie es der Spiegel schrieb, sondern ein „Goldenes Jahrzehnt“ für Ingolstadt?

„ Wir müssen zusammenhalten, solide bleiben und unsere doch überschaubaren Probleme lösen. Lassen Sie uns aus dem Umbruch gemeinsam einen neuen Aufbruch für Ingolstadt und für unsere Region machen. Einen Aufbruch, der das Bewährte und das gemeinsam Erreichte erhält, der sich aber auch mutig und entschlossen neuen Horizonten zuwendet. Dazu braucht es ein neues Leitmotiv, ein Zielbild für Stadt und Region, eine neue Vorstellung, wie „Ingolstadt 2030“ aussehen soll. Dazu braucht es eine Politik und eine Stadtgesellschaft, die vernünftige Lösungsansätze aufgreift und mitträgt, zum Wohle der Gesamtgesellschaft – ohne eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere auszuspielen. Dazu braucht es die Rettung von Klima und Tier-Arten sowie einen umfangreichen Schutz unserer biologischen Systeme – dazu braucht es aber auch gut und fair bezahlte Arbeitsplätze.“ Und dazu bedürfe es der erfahrenen älteren Generationen, die das Land aufgebaut und den heutigen Wohlstand erarbeitet hat ebenso, wie eine stürmische und unkonventionelle Jugend.

In den vergangenen Jahren sei es mit zahlreichen Partnern gelungen, die Weichen zu einer Stadt der neuen Chancen neu zu stellen. Die ersten Früchte könne man schon ernten. Im Oktober habe Ministerpräsident Markus Söder die „Hightech Agenda Bayern“ vorgestellt, durch die ein Forschungs-Netz für Künstliche Intelligenz mit verschiedenen Knotenpunkten in ganz Bayern etabliert wird. Ingolstadt werde dabei der „Bayerische Mobilitätsknoten“.
„Die damit verbundene millionenschwere Wissenschaftsförderung ist uns nicht in den Schoß gefallen, sondern Ergebnis harter Arbeit vieler Beteiligter aus Politik, Hochschulen, Wirtschaft und Gewerkschaften. Ein Ergebnis gemeinsamer erfolgreicher Profilierung als diversifizierter Mobilitätsstandort. Was wir zu leisten imstande sind, wenn alle gemeinsam an einen Strang ziehen, zeigt auch unsere Urban-Air Mobility-Initiative.“

Auch auf den umstrittenen Mobilfunkstandard 5G kam Lösel zu sprechen. „Der neue Mobilfunkstandard wurde auf Bundesebene beschlossen und wird ab 2020 sukzessive deutschlandweit eingeführt. Um es vorweg zu sagen: Die Diskussionen und Studien über das PRO und CONTRA möglicher gesundheitlicher Risiken des Mobilfunks nehmen wir sehr ernst und wir werden uns auch den Diskussionen hierzu stellen. Heute möchte ich allerdings von den Chancen der 5G-Technologie sprechen. Uns ist es gelungen, beim 5G-Ausbau frühzeitig dabei zu sein, um Vorteile für unsere hiesigen Arbeitsplätze zu generieren: Denn mit Audi und Telekom können wir so bereits heute neue Technologien für vernetzte Autos, einen flüssigeren Verkehr und bessere Verkehrssicherheit erarbeiten.“

„Der Markt der klugen Köpfe sei hart umkämpft. Wir brauchen sie aber, um unsere Unternehmen in den Zukunfts-Technologien zu unterstützen. Nur so bekommen wir neue Betriebe, die neue Arbeitsplätze schaffen, Löhne, Sozialversicherungsbeiträge und Gewerbesteuer zahlen. Zum Jahreswechsel wurde bekannt, dass Ingolstadt zukünftig auch Software-Standort von VW werden soll. Volkswagen will 10 000 Arbeitsplätze in der Softwareproduktion aufbauen, einen Teil davon in Ingolstadt. Unser neues Hightech-Areal IN-Campus kann sich hier.“

Und zum Thema Monostruktur meinte Lösel: „Automobilkrisen sind für uns nichts Neues und die Erneuerung im wirtschaftlichen Bereich wurde bereits in die Wege geleitet. Die Stadt stellt sich breiter auf. Ingolstadt erneuert sich. Das gelte auch auf sozialem Gebiet. Vor der letzten Kommunalwahl seien hohe Mieten und Wohnungsknappheit beherrschende soziale Themen gewesen. Der Stadtrat habe reagiert: Zwei Sonderbauprogramme wurden aufgelegt und neue Baugebiete ausgewiesen. Alleine im öffentlich geförderten Bereich wurden 1700 Wohnungen im ersten Sonderbauprogramm und weitere 1600 Wohnungen im zweiten Sonderbauprogramm beschlossen. Die durchschnittliche Miete beträgt bei der GWG heute übrigens 5,86 Euro pro Quadratmeter. Und: „Die Mieten in Ingolstadt sinken – das ist bayernweit einmalig und ein Erfolg unserer Wohnungsbau-Politik. Die GWG soll 2027 über 9600 Wohnungen anbieten und damit den Schutzschirm für die unteren Einkommensgruppen breiter aufspannen.“

Ein Themenfeld sei in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt: Die Klimakrise und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit. „Wir sollten auch hier mit gutem Beispiel vorangehen“, sagte der OB und zählte zahlreiche Beispiel städtischer Aktivitäten auf diesem Gebiet auf, vom Programm „Eine Million Bäume“ über die Landesgartenschau, den zweiten Grünring den Ausbau der Fernwärme bis zum Schutz des Trinkwassers. „Der Klimaschutz und die Klima-Gesetze der Bundesregierung werden uns Bürger viel Geld kosten. Viele haben daher die Sorge, dass sie die Kosten für den Klimawandel überfordern werden. Daher gilt für uns in Ingolstadt die Leitlinie, dass wir das Klima schützen wollen und dies auch mit vollem Herzen und Verstand tun, dass wir dazu aber nicht höhere Steuern auferlegen wollen. Es wird uns alle schon genug fordern, was auf Bundesebene beschlossen wurde. Daher gilt für Ingolstadt: Klima-Maßnahmen ja. Aber keine höheren kommunalen Steuern.“

Nachhaltigkeit müsse ganzheitlich angegangen werden. Die Wirkungsmechanismen seien sehr komplex. Eine gut gemeinte Maßnahme an einer Stelle, könne an anderer Stelle verheerende Auswirkungen haben. Daher sei es wichtig, viele kluge Köpfe zusammenzubringen und jeweils im Vorfeld eine Maßnahme-Folgen-Abschätzung vorzunehmen. „Für die Natur in Ingolstadt haben wir ein solches Experten-Gremium, dem ich gerne mehr Gewicht geben würde – den Naturschutzbeirat. Dieser sollte in Zukunft besser eingebunden werden und regelmäßiger tagen.“

„Wir wollen unsere aktive Wirtschaftsförderung sowohl personell wie auch finanziell deutlich verstärken. Denn der Wandel gilt auch für Mittelstand und Handwerksbetriebe, das Rückgrat unserer Wirtschaft, Leistungsträger für Ausbildungs- und Arbeitsplätze und Qualitätssicherer für unsere Nation. Der Mittelstand und das Handwerk bieten fast 4000 Ausbildungsplätze in unserer Stadt. Sie sind Träger von zehntausenden Arbeitsplätzen

Mittelstand und Handwerk sind Garanten für Qualität und Solidität unserer Region. Für die Zukunft muss die duale Berufsausbildung daher – auch mit Mitteln der Stadt – weiter gestärkt werden. Auch hier gilt es: Lassen Sie uns Ingolstadt erneuern – vom Umbruch zum Aufbruch.“

Nach einem Jahr wie dem vergangenen durfte das Thema Kultur und Kammerspiele selbstredend nicht fehlen. Zu einem „Ingolstadt von morgen“, in dem es sich weiterhin gut leben lasse, gehöre auch eine beständige Erneuerung der Infrastruktur. Dazu gehöre an prominenter Stelle: Kunst und Kultur. „Daher ein klares Ja zu den Kammerspielen. Wir brauchen sie zur Sanierung des Theaters und als neue Spielstätte. Sobald die Architekturbüros alle Fakten erarbeitet haben kann entschieden werden. Wir wollen Überraschungen und Kostensteigerungen in der Bauphase vermeiden – deshalb muss die Entscheidung gründlich und sorgfältig vorbereitet sein. Die heutige Sorgfalt hilft uns morgen. Wie wichtig uns Kultur ist, erkennen Sie an den Ausgaben: Diese sind von 2010 auf 2020 um 49 Prozent gestiegen. Allein 2019 hat die Stadt mit fast 18 Millionen Euro laufende Mittel Kultur unterstützt: Theater, Museen, Georgisches Kammerorchester, Veranstaltungen und die Kulturförderung an Dritte. Nur laufendes Budget, keine Investitionen in Gebäude.“ Hinzu kämen die Investitionen in Kulturbauten wie der Umbau der Gießereihalle für das Museum für konkrete Kunst und Design oder die Sanierung von Georgianum und Kavalier Dalwigk.

Auch auf die geplanten Programme für den Breitensport ging Christian Lösel noch einmal ein. „Wir haben bereits mit großen Maßnahmen auf das Bevölkerungswachstum reagiert mit dem Neubau unseres Sportbades in Größe des Bundesleistungszentrums, dem Ballspielhallen-Programm, dem Programm zur energetischen Sanierung der Vereinsheime, der Aufwertung des Freibades oder dem Trendsportzentrum Halle 9. Das sind nur die prägnantesten Beispiele für das stete Wachstum unserer Sportstätten. In sie wollen wir aber weiter investieren. Wir müssen unsere Bezirkssportanlagen erneuern. Hierzu wurde bereits ein Programm erstellt, das nun abgearbeitet wird, um die städtischen Sportstätten wieder auf neuesten Stand zu bringen. Aber wir müssen auch Vereine und deren eigene Sportstätten stärker fördern, um den Wandel zu unterstützen. Manche Vereine haben brachliegende Sportanlagen, die sie umnutzen würden, dies aber finanziell nicht stemmen können. Ich schlage daher ein Erneuerungsprogramm für diese Brachflächen vor. Eine Förderung, die gezielt den Vereinen unter die Arme greifen soll. Hierzu schlage ich zusätzlich ein Kalt-Luft-Hallen-Programm vor.“ Kaltluft-Hallen oder auch Freiluft-Hallen haben ein geschlossenes Dach, sind aber an den Seitenwänden offen. Sie ermöglichen ganzjährig und wetterunabhängig sportliche Aktivitäten an der frischen Luft. Vielseitig einsetzbar für Ballsport, Tennis oder Fitnessangebote.

„Wachsende Städte werden anonymer. Trotz aller Bemühungen erreicht man mit konventionellen Methoden der Bürgerbeteiligung nicht mehr alle Bevölkerungsschichten. Städte können sich aber nur dann im Einklang und in allem nachhaltig entwickeln, wenn es auch gelingt, mehr Bürger einzubinden und sie an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Daher will ich die Bürgerbeteiligung auf digitalem Wege verstärken, um noch mehr Menschen zu erreichen. Ich stelle mir ein zusätzliches digitales Bürgerforum vor, das übergreifend und ergänzend zur wertvollen Arbeit der BZAs in den Stadtteilen auch auf digitalem Wege – vom Sofa aus eine Bürgerbeteiligung zu stadtweit relevanten Themen ermöglicht, zum Beispiel mit digitalen Bürgerumfragen. Diesen Vorschlag will ich mit dem Stadtrat diskutieren. Wir gestalten Ingolstadt gemeinsam, miteinander und nicht ausgrenzend.“

„Wir haben es in der Hand, wie wir unsere Stadt in allen Bereichen erneuern. Nun sind aber erstmal Kommunalwahlen. Auch hier werden wir eine enorme Erneuerung erleben – es gibt frischen Wind, denn etwa 50 Prozent der Stadträte werden Neulinge sein – so viel wie kaum zuvor. Viele verdiente ältere Stadträte scheiden aus, ein Viertel neue Gruppierungen kommen dazu und die tri-modale Wählerverteilung erzwingt ruckartige Veränderungen in der Parteienlandschaft. Dem neuen Stadtrat obliegt es, gemeinsam und zielgerichtet unsere Heimatstadt weiter zu entwickeln und positive Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wohlstand von morgen gewährleisten. Ingolstadt soll eine Stadt sein, die ausnahmslos allen reelle Chancen bietet. Daran wollen wir auch in diesem Jahrzehnt mit voller Kraft gemeinsam arbeiten, es erneuern und modern halten.“