Was vom Tage übrig blieb

20.04.2018 | Stand 09.10.2019, 3:36 Uhr

Ein satirischer Blick zurück auf große und kleine Merkwürdigkeiten Geht es Ihnen auch manchmal so? Sie stehen vor dem Spiegel und denken: Habe ich auch so einen verbogenen Riechkolben im Gesicht wie mein Nachbar, so eine Aufsehen erregende Hackfresse? Und diese morgentliche Unsicherheit wirft gar bohrende Fragen auf wie: „Bin ich eigentlich auch so doof wie mein Onkel Ferdinand?“ Tja, die

Ein satirischer Blick zurück auf große und kleine Merkwürdigkeiten

Geht es Ihnen auch manchmal so? Sie stehen vor dem Spiegel und denken: Habe ich auch so einen verbogenen Riechkolben im Gesicht wie mein Nachbar, so eine Aufsehen erregende Hackfresse? Und diese morgentliche Unsicherheit wirft gar bohrende Fragen auf wie: „Bin ich eigentlich auch so doof wie mein Onkel Ferdinand?“ Tja, die märchenhafte Frage „Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist der Dümmste im ganzen Land?“ wird erfahrungsgemäß nicht von jedem Spiegel ehrlich beantwortet. Sogar Spiegel lügen. Besonders dann, wenn man ihn in einem billigen Baumarkt als Schnäppchen erworben hat.

Also ich habe meinen im Internet gekauft. Da besteht natürlich die Gefahr, dass er zu Fake News neigt. Andererseits auch wieder nicht. Denn auf meine Frage, wer der Dümmste im ganzen Land sei, meinte er unlängst lakonisch: „Mein Prinz, Ihr braucht nicht in Zweifeln ersaufen, denn im Rathaus da tagt der Deppenhaufen.“ Eine Antwort, die Fragen aufwirft. Sagt mein Spiegel die Wahrheit? Anders formuliert: Hat Bürgermeister Albert Wittmann das gleiche Spiegelmodell wie ich? Und ihm sagt sein Spieglein: „Herr Bürgermeister, Ihr müsst nicht die Haare raufen, ihr habt schon Recht mit dem Deppenhaufen.“

Etwas fassungslos war ich zugegebener Maßen, als mein Spiegel vor ein paar Tagen meinte: „Ich hoffe, Ihr bekommt keinen Schreck, aber ihr seid ja fast wie der Mißlbeck.“ Selbstredend hatte ich einen Schreck. Und was für einen. Was meint der blöde Glaskübel damit? Ich habe keine künstliche Hüfte, muss noch nicht Golf spielen und weiß, wäre ich Bürgermeister und hätte eine Sitzung zu leiten, dass es nicht „Tagespunkt“ sondern „Tagesordnungspunkt“ heißt. Gut, ich trinke im Sommer gerne Campari-Orange, was eine gewisse Gemeinsamkeit ist, hatte auch schon mal meinen Führerschein abgegeben, weil ich etwas zu schnell war. Und ich hasse Busfahren.

Das ist es, das hat mein Spiegel gemeint. Weil ich nicht nur ungern mit dem Bus fahre und Personennahverkehr für mich eine völlig andere Bedeutung hat. Und weil ich mich bei der widerwilligen Nutzung jenes Verkehrsmittels vermutlich so dämlich anstelle, als würde man den Sepp Mißlbeck in einen Bus setzen.

Ich bin jüngst in der Tat mit dem Bus gefahren, weil mein Auto Inspektion hatte und ich von der Goethestraße irgendwie wieder nach Hause kommen musste. Aber das war keine Busfahrt, das war eine Odyssee, gegen die sich die antiken Fahrten des Odysseus wie ein Wandertag im Kindergarten ausnehmen.

Ich liefere also brav mein Auto ab und schicke mein Blauauge auf die Suche nach einer Bushaltestelle. Vergeblich. Also gehe ich ein paar Schritte und finde in der Schillerstraße tatsächlich ein Schild mit dem „H“. Gott sei Dank. Da stehe ich dann und warte. Und warte. Und warte. Nach der gefühlt fünften Zigarette schaue ich dann mal auf den Fahrplan und sehe zu meinem Leidwesen: das ist die Haltestelle für eine Linie „S1“. Und das „S“ kommt nicht von dem Wort „schnell“ sondern von „selten“.

Also weiterwandern, die Schuhe waren ja noch warm. Die Schillerstraße hinunter und links in die Regensburger Straße. So weit die Füße tragen eben. Endlich eine Bushaltestelle, eine richtige, eine, an der auch Menschen warten. Und nach einer kleinen Ewigkeit kommt doch auch tatsächlich ein Bus. Dessen Fahrer indes gibt mir zu verstehen, dass er nun nicht nur wegen mir zum Hauptbahnhof führe, wo ich eigentlich hinmüsste, sondern zum Rathausplatz. Na gut, ich bleibe und meine, dann könnte ich ja einen schnellen Cappuccino trinken, bevor die Weltreise weitergeht. Und er erwidert, dass mein Fahrschein eine exorbitante Laufzeit von zwei Stunden habe. Perfekt.

Also auf einen schnellen Cappuccino in die Bar, der dann wegen eines morgentlichen Gedankenaustausches mit ein paar Bekannten doch nicht ganz so schnell ausfiel. Jetzt aber rasch zum Bus in der Schutterstraße. Aber von einem Bus ist weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen ein Taxi unterhalb des Viktualienmarktes. Was soll‘s. Da eben mit dem Taxi nach Hause. Ich nichts wie hin. Das Taxi war tatsächlich da, feinsäuberlich versperrt. Aber von einem Fahrer weit und breit keine Spur. Da spüre den kalten Windhauch eines vorbeirauschenden Busses in meinem Rücken. Ich renne wie ein Verrückter und schaffe es gerade noch, durch die sich schließende Bustür ins Innere zu schlüpfen. Endlich.

Meine Freude über die souveräne Eroberung des Busses dauert indes gerade einmal bis zur Kreuzung der Münchener Straße mit der Ringstraße. Denn anstatt gerade aus in Richtung Hauptbahnhof zu fahren, biegt der blöde Kübel nach links ab. Und dann wieder rechts in Richtung Ringsee.

Was soll ich sagen. Ich raus aus dem Bus in der Weningtsraße. Und nach einem strammen Fußmarsch durch das Outback erreiche ich endlich die Münchener Straße beim Bonschab.

Oh, viel Verkehr heute. Also wie immer. Nach einer gefühlten Viertelstunde gelingt es mir trotzdem, unter Einsatz meines Lebens die Straßenseite zu wechseln. Und nach nochmal einer gefühlten Viertelstunde kommt auch schon der erlösende Bus.

Jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen. Ich kann ja den Hauptbahnhof sozusagen schon riechen. Was ich indes nicht riechen konnte war, dass seit dem Beginn meiner Odyssee mehr als zwei Stunden vergangen waren und ich mir für die zwei Stationen bis zum Busbahnhof eine neue Karte kaufen durfte.

Mit einem Puls nahe der 200 verlasse ich schließlich die dumpf röhrende Dieselschleuder. Wäre jetzt eine gute Fee mit dem berühmten einen freien Wunsch im Gepäck vorbeigeflogen, ich hätte auf Geld, Gesundheit und langes Leben verzichtet und mir nur gewünscht: „Mach, dass ich nie, nie wieder mit einem Bus fahren muss.“ Aber es kam keine Fee. Und mein Spiegel zuhause sah das ganz anders: „Mein Prinz, ihr fragt nach dem Dümmsten im Staat. Da hätte ich eine Antwort parat.“ Doch das sagte er nur ein einziges Mal. Ich habe ihn postwendend zerdeppert und mir einen neuen besorgt. Modell Stadtrat. Der flunkert garantiert so charmant, dass sich die Balken biegen. Denn wäre dem nicht so, die Suizidquote im Stadtparlament müsste gigantisch hoch sein.