Von wegen „verzogener Pulverdampf“

Oberbürgermeister Scharpf und sein Brief an die Mitglieder des Stadtrates

11.06.2021 | Stand 11.06.2021, 8:22 Uhr
Brief −Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Oberbürgermeister Scharpf und sein Brief an die Mitglieder des Stadtrates

Von Michael Schmatloch

„Was ich Dir sagen will, sagt mein Klavier“, sang Udo Jürgens einst. Oberbürgermeister Christian Scharpf erledigt das indes nicht mit dem Piano, sondern mit dem guten alten Brief. So schrieb er jetzt einen an alle Mitglieder des Stadtrates, um in Sachen städtischer Finanzen eine paar „kritische Anmerkungen“ loszuwerden, nachdem sich, wie er hofft, „der Pulverdampf im Nachgang zur letzten Sitzung des Konsolidierungsrates“ verflogen sei.

Briefe haben im Gegensatz zu Statements im Stadtrat den unschätzbaren Vorteil, dass sie keine Widerworte geben und Papier zudem geduldig ist, was die alten Römer schon zu schätzen wussten. Und diese Widerworte hätte es sicher gegeben, hätte Scharpf seine „kritischen Anmerkungen“ zum Thema Haushaltskonsolidierung live vorgetragen.

„Ingolstadt hat der Vergangenheit bereits Erfahrungen mit Haushaltskonsolidierungen gesammelt. Im Jahr 2004 sprach der Donaukurier von einem Kraftakt des Stadtrats ohne Beispiel. Dabei hatte das Sparpaket damals gerade einmal einen Umfang von sechs Millionen Euro, wovon über fünf Millionen auf Steuererhöhungen, Gebührenerhöhungen und Grundstücksverkäufe entfielen. Soweit zur aktuellen Kritik der Protagonisten von damals, die Grundsteuer maßvoll anzuheben und eine Zweitwohnungssteuer einzuführen“, so Scharpf in seinem Brief. Von diesen sechs Millionen seien nicht einmal eine Million Euro „echte“ Einsparungen gewesen, die man mühsam - größtenteils mit Kleinstbeträgen - zusammengekratzt habe. „Soweit zum aktuellen Vorwurf, das Rathaus verliere sich im Klein-Klein“, lautet Scharpfs Konter auf ein Statement von CSU, FW, JU und FDP, das wie berichtet Steuererhöhungen in Ingolstadt klar abgelehnt hatte.

„Bei den Steuererhöhungen wurde damals nicht gekleckert, sondern geklotzt. OB Alfred Lehmann und Finanzbürgermeister Albert Wittmann hatten dem Stadtrat eine Erhöhung der Hundesteuer und eine satte Erhöhung der Grundsteuer vorgeschlagen, bei der Grundsteuer B sogar eine Erhöhung des Hebesatzes von 100 Punkten“, schreibt Scharpf an die Stadträte, „das war der CSU aber noch zu wenig. Sie beantragte in einem Änderungsantrag eine weitergehende Erhöhung auf 460 Punkte, die dann ausweislich des Sitzungsprotokolls auch so beschlossen worden ist. Gerade diejenigen, die die letzte Konsolidierung mit weit über 80 Prozent aus Steuer- und Einnahmeerhöhungen bestritten haben, sind heute am lautesten dagegen.“

"Sparen heiße Verzichten“ sei eine oft bemühte Weisheit in der aktuellen Debatte. Es passe dann allerdings nicht zusammen, wenn diejenigen, die Verzicht fordern, gleichzeitig Anträge stellen, die auf weitere Ausgabensteigerungen ausgerichtet sind, und selber keinen einzigen Einsparungsvorschlag unterbreiten.

Nach „verzogenem Pulverdampf“ klingt das alles nicht wirklich. Liest man doch in jeder Zeile des Briefes, wie stark die Lunte brennt. Und man erahnt zudem, wie die in Scharpfs Brief gemaßregelten Stadträte auf diese Zeilen reagieren werden.

Dass sie weiterhin Steuererhöhungen ablehnen werden, scheint sicher. Ebenso wird es erbitterte Diskussionen geben um die wohl unumgängliche Neuverschuldung der Stadt.

„Wir haben im Moment aufgrund der eingebrochenen Steuereinnahmen vor allem ein Einnahmenproblem“, schreibt Scharpf, „auch wenn sich gerade im Bereich der Gewerbesteuer die Situation über kurz oder lang wieder deutlich verbessern wird, werden wir für Investitionen mit Sicherheit nicht um eine Verschuldung herumkommen.“ Zoff ist wohl auch beim Personalplan vorprogrammiert, der ja in der kommenden Woche in nichtöffentlicher Sitzung im Personalausschuss diskutiert wird.

Ob Scharpfs brieflicher Appell dazu beigetragen hat, dass die Stadträte den „Weg in dieser wirtschaftlich nicht leichten Situation mittragen“ werden, bleibt abzuwarten. Und ob sie zudem die „populistischen Angriffe“ herunterzufahren bereit sind, scheint angesichts dieser brieflichen Breitseite doch eher fraglich.