Urteil im Ingolstädter Mordprozess fällt erst im Oktober

28-jähriger Angeklagter ist voll schuldfähig

18.09.2020 | Stand 18.09.2020, 8:30 Uhr
Gericht −Foto: Schmatloch

28-jähriger Angeklagter ist voll schuldfähig

Nach den ursprünglichen Planungen der Schwurkammer des Ingolstädter Landgerichts wäre gestern für die Plädoyers vorgesehen gewesen, am kommenden Montag hätte es das Urteil im Renterinnenmordprozess geben sollen. Doch dieser Zeitplan ist spätestens seit den späten Einlassungen des Angeklagten am siebten Verhandlungstag nicht mehr zu halten. Vielmehr wird der spektakuläre Prozess um die grausame Tötung der 80-jährigen Witwe aus dem Südwesten der Stadt erst Mitte Oktober zu Ende gehen. Den 16., 21. und 22. des kommenden Monats haben sich die Prozessbeteiligten schon als weitere Verhandlungstage notiert. Ob alle gebraucht werden, ist offen. Klar ist aber schon, dass frühestens am 16. Oktober die Schlussanträge gestellt werden dürften.

Mit seiner späten Aussage im schon weit fortgeschrittenen Prozess hat der junge Brasilianer einige Fragen aufgeworfen, die von der Kammer nun noch überprüft werden müssen. Wie berichtet, weist der Angeklagte den brutalen Mord von sich, gab aber zu, am Tatabend (11. November 2019) im Haus der Frau gewesen zu sein. Als er sie angeblich bereits tot im Keller entdeckt habe, sei er auf und davon - allerdings ohne die Polizei zu rufen. Am Tatort waren Spuren des Angeklagten sichergestellt worden, wodurch die Ermittler den polizeibekannten Arbeitslosen bald ins Visier bekamen.

Für eine ihm gehörende Visitenkarte und einen Fingerabdruck am Klebeband, mit dem die Tote vom Täter eingewickelt wurde (Mund, Nase und Augen waren mehrlagig abgeklebt, darüber der Kopf noch in einer Plastiktüte), hatte der Angeklagte eine Rechtfertigung für das Zustandekommen parat. Die fehlt aber für eine erst im Prozess ihm definitiv zugeordnete DNA-Spur an einer weiteren Plastiktüte, die neben der Leiche im Keller gefunden worden war. Nicht nur wegen dieses Teils der Einlassung des Brasilianers ließ die Schwurkammer die DNA-Spuren noch einmal abgleichen. Denn der Angeklagte - und auch Teile seiner Verwandten - wollen in ihren Aussagen eine andere, ehemals befreundeten Familie mit dem Mord in Verbindung bringen. Es handelt sich um die früheren Mieter der Getöteten. Der Brasilianer selbst hält sich für das Opfer ihres Komplotts. Wie eine Expertin des Landeskriminalamtes nun vor Gericht ausführte, kommen die derart beschuldigten Personen aber in keiner Weise als Verursacher irgendeiner der sichergestellten Spuren im Mordfall infrage. Der Angeklagte aber eben sehr wohl. Bei ihm wurden auch Schmuckschatullen gefunden, die sowohl Spuren von ihm als auch die der Rentnerin tragen. Das könnte auf einen Einbruch hindeuten. Die Staatsanwaltschaft geht von Habgier als Mordmerkmal aus.

Das alles streitet der verschuldete Angeklagte aber inzwischen vehement ab und präsentierte nach zehn Monaten in Untersuchungshaft und sieben Verhandlungstagen dann seine eigene Geschichte. Ob diese Version vom spätabendlichen Besuch am Tatort glaubwürdig ist, ist in der Bewertung die ureigenste Aufgabe der Schwurkammer unter Vorsitz des Landgerichtsvizepräsidenten Konrad Kliegl.

Die Richter hörten sich am achten Prozesstag nun erneut die ehemalige Mieterin der Getöteten an: die Mutter aus der ehemals befreundeten und nun vom Angeklagten in Verruf gebrachten Familie. Die Frau wies auf Nachfrage des Gerichts empört jegliche Beteiligung an dem Verbrechen zurück. Auch ihre Tochter und deren Freund hätten natürlich nichts damit zu tun. Die 44-Jährige war, wie die Kammer schon wusste, von Angehörigen des Angeklagten nach ihrer ersten Aussage vor Gericht daheim aufgesucht worden. Von Bedrohung wollte sie auf Nachfrage des Vorsitzenden nicht sprechen, von Druck schon. "Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, ich habe die Wahrheit gesagt", gab sie am Donnerstag noch einmal zu Protokoll.

Der Angeklagte hatte der Familie Ende Oktober bei ihrem Auszug aus dem Nachbarhaus der später Getöteten geholfen, wo sie nach Unstimmigkeiten mit der Vermieterin ausziehen musste. Obwohl der 28-Jährige offensichtlich wissen musste, dass die Landsleute dort im Südwesten nicht mehr wohnten, war er am Tatabend im November hingefahren, angeblich um sie dort zu suchen. Als er sie nicht angetroffen habe, sei er wegen brennenden Lichts am Nachbarhaus hinüber zur Vermieterin, die er aber laut eigener Aussage gar nicht kannte.

Der 28-Jährige wäre im Falle einer Verurteilung voll schuldfähig. Das bestätigte die vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachterin am Donnerstag. Seine frühere Alkoholsucht (mit zwei längeren Therapien) sei "nach psychiatrischen Maßstäben nicht relevant". Das Gericht interessierte natürlich, ob die exzessive Gewaltanwendung - sollte die Kammer zur Überzeugung kommen, er sei der Täter - zu dem Angeklagten passen würde. "Es ist verführerisch zu spekulieren", sagte die Sachverständige, aber psychiatrische Rückschlüsse von der Tat her zu ziehen, das wäre "unseriös dazu etwas sagen". Das sei nicht ihr Fachgebiet.

Von Christian Rehberger