Stammgast vor Gericht

13.08.2021 | Stand 13.08.2021, 20:00 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Pexels

23-Jähriger hat fast so viele Vorstrafen wie Lebensjahre

(ty) Die 19-Jährige wartet mit ihrer Mutter vor dem Sitzungssaal des Amtsgerichts auf ihren Freund. Der ist aus Berlin, wo er eine zehnmonatige Haftstrafe absitzt, mit einem Gefangenentransporter nach Pfaffenhofen überführt worden. Hier muss er sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Bitter für die Freundin: Das Gericht hat ihn zu weiteren 14 Monaten Haft verurteilt. Eine letzte Umarmung zum Abschied ist schwierig. Er gilt als aggressiv, weswegen ihm die Handschellen während der gesamten Sitzung nicht abgenommen worden sind.


Heiko F. (alle Namen geändert) hat mit gerade mal 23 Jahren schon 21 Vorstrafen auf dem Kerbholz. Seine kriminelle Karriere – Körperverletzung, Bedrohung, Diebstahl und Betrug – startete er mit 14. Die Hauptschule hat er ohne Abschluss abgebrochen, er hat keine Ausbildung, auch noch nie einen Job gehabt und lebt von der Sozialhilfe. In Berlin sitzt er im Knast. „Weil ich jemanden zusammengeschlagen habe, unter Alkoholeinfluss“, erklärt er auf Nachfrage von Amtsrichterin Nicola Schwend.


Anderthalb bis zwei Flaschen Wodka waren wohl auch der Grund, warum er jetzt erneut auf der Anklagebank sitzt. Der Anlass war eher trivial: Stefanie, seine Freundin, hatte eine 20-Jährige in den sozialen Netzwerken beleidigt. Die nahm drei ihrer Freundinnen mit und fuhr in den nördlichen Landkreis, wo Stefanie mit ihrem Freund wohnte. „Ich wollte den Streit verbal zu klären“, sagte sie vor Gericht. Warum man dazu ein Messer mitnimmt, blieb offen. Sie selbst bestreitet, eines mitgeführt zu haben. Zeugen allerdings hatten es im Fach der Seitentür bemerkt.


Mit diesem Messer, sagt der Angeklagte, sei sie auf seine Freundin losgegangen. Seine Erinnerung ist wodkabedingt äußerst lückenhaft. Er weiß aber noch, dass er sich zwischen die beiden jungen Frauen gestellt hat, um seine Freundin zu verteidigen. Dass er ebenfalls ein Messer in der Hand hatte, das weiß er nicht mehr. Wohl aber, dass er die Angreiferin mit dem Kopf voraus gegen ihr Auto geschubst und sie so in die Flucht geschlagen hat.
Allerdings nur vorläufig. Denn die Racheengel kehrten nach einer knappen halben Stunde zurück, diesmal mit einer männlichen Begleitung, einem 20-Jährigen aus der Nachbarschaft. Für André Schneeweiß, den Verteidiger von Heiko F., völlig unverständlich: „Sie wussten, dass der Angeklagte aggressiv ist, ein Messer hat und alkoholisiert ist – und dann kehren Sie trotzdem zurück?“ Für ihn ist klar: Sein Mandant ist in eine Provokationsfalle gelaufen.


Was dann passierte, hat ein 40-Jähriger gesehen, der mit seiner Frau auf der Terrasse den Sommerabend genießen wollte. Plötzlich sei ein Auto ohne Licht herangebraust, dann ein weiteres. Als er Geschrei hörte, habe er gesehen, wie der Angeklagte, auch wenn er ihn nicht erkannt hat, den Reifen eines Autos zerstach, so dass die Luft mit einem lauten Zischen entwich. Dann habe der Angeklagte versucht, auf einen aus der Gruppe einzustechen. „Oder hat er nur mit dem Messer rumgefuchtelt“, fragt die Richterin. Nein, sagt der Zeuge, und macht heftige Stichbewegungen nach vorn, „er hat bestimmt fünfmal versucht, ihn in den Bauch und den Hals zu stechen“. Das Opfer konnte ausweichen, zog sich aber am Oberarm eine Schnittverletzung zu. Erst als der Nachbar brüllte „Schmeiß das Messer weg, ich ruf die Polizei“, sei der Spuk vorbeigewesen.


Die Staatsanwältin entdeckte bei Angeklagten „nichts, was für eine Bewährung spricht“. Sie beantragt zwei Jahre Gefängnis unter Einbeziehung der Haftstrafe von zehn Monaten, die der Angeklagte gerade absitzt. Der Verteidiger sieht seinen Mandanten in einer Nothilfe-Situation, er habe seiner Freundin, die angegriffen worden sei, beistehen wollen. Er plädiert wegen des erheblichen Alkoholpegels auf verminderte Schuldfähigkeit.


Das letzte Wort hat der Angeklagte selbst. Heiko F. ist realistisch: Um eine Haftstrafe wird er nicht herumkommen. Deshalb bittet er, in eine JVA in der Nähe seiner Freundin verlegt zu werden. Die Richterin bedauert: „Darauf habe ich keinen Einfluss.“


Sie verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und bezieht die zehn Monate aus der Berliner Haft mit ein. Einen „Alkoholbonus“ gesteht sie dem Angeklagten nicht zu: Immerhin habe er noch sein Messer verstecken können. Und außerdem wisse er, dass er unter Alkoholeinfluss zu Straftaten neige.PK