Stadler weist alle Schuld von sich

Ex-Audi-Chef Rupert Stadler kritisiert die Staatsanwaltschaft im Münchner Diesel-Prozess

12.01.2021 | Stand 12.01.2021, 18:26 Uhr
Stadler −Foto: SCHMATLOCH

Ex-Audi-Chef Rupert Stadler kritisiert die Staatsanwaltschaft im Münchner Diesel-Prozess

Von Horst Richter

Gegen 6 Uhr früh hatte Rupert Stadler daheim noch "einen Espresso reingezogen". Es ist Dienstag, der Tag, an dem er im Münchner Audi-Prozess um den Dieselskandal aussagen soll oder besser darf. Eine gute dreiviertel Stunde später sitzt er in seinem roten Audi und erreicht den Gerichtssaal in der JVA Stadelheim um Punkt 7.54 Uhr. Die meisten der diesmal wieder zahlreicher erschienenen Journalisten nehmen den früheren Audi-Vorstandsvorsitzenden mit seiner Corona-Maske und der Schiebermütze gar nicht richtig wahr. Aber er muss in der Eiseskälte warten wie die anderen auch, da sind die Wachtmeister streng. Nein, Bammel habe er vor seiner Aussage nicht, sagt er. Er will endlich aussprechen, weshalb er sich zu Unrecht unter anderem wegen Betrugs auf der Anklagebank sieht. Nach eher allgemeinen Einlassungen geht der 57-Jährige dann mit der Staatsanwaltschaft hart ins Gericht.

Er, der frühere Audi-Chef, soll also nach September 2015 weiter Dieselfahrzeuge mit manipulierter Abgastechnik auf den europäischen Markt geworfen haben, als über die USA längst bekannt war, dass Behörden und Kundschaft mit Softwaretricks betrogen worden waren. Das wirft die Ermittlungsbehörde ihm vor. Es geht um den Verdacht des Betrugs an Autokäufern, strafbare Werbung und mittelbare Falschbeurkundung bei Zulassungsbehörden. Mit Stadler stehen der ehemalige Audi-Motorenchef und Porsche-Technikvorstand Wolfgang Hatz sowie zwei leitende Entwickler vor Gericht.

Um zu verstehen, dass dem nicht so war, müsse er Organisation und Strukturen des Hauses erläutern, sagte Stadler am 19. Prozesstag. Beim Blick von außen lasse sich das sonst nur eingeschränkt nachvollziehen. Der Ex-Manager berichtete mit kräftiger Stimme von der Zusammensetzung des Vorstands und anderer Gremien, von seinem Tages- und Wochenablauf, von Zuständigkeiten, Sitzungen, Konferenzen und einem strengen Terminplan.

Aus Stadlers Sicht trifft vieles in der Anklage nicht ansatzweise zu. Er nannte etwa eine E-Mail, in der es um den Betrug geht und die angeblich an ihn beziehungsweise seinen Assistenten weitergeleitet worden war, obwohl dem gar nicht so gewesen sei. Der vermeintliche "Assistent" sei nicht einmal sein persönlicher Mitarbeiter gewesen. Oder er kritisierte die Behauptung der Ermittlungsbehörde, seine Aufklärungsmaßnahmen nach Bekanntwerden des Dieselskandals seien "ungeeignet" gewesen, ohne überhaupt die tatsächlichen Fakten zu kennen.

"Was darf man von einer Staatsanwaltschaft erwarten, die den Eindruck erweckt, voreingenommen zu sein?", stellte Stadler in den Raum. Er sprach von einer Behörde, die nur Belastendes gegen ihn sucht und Entlastendes unter den Tisch fallen lässt. Er habe kein Recht auf Sonderbehandlung, räumte er ein, aber andersherum stehe ihm eine faire und absolut neutrale Behandlung durch die Staatsgewalt zu und kein politisch instrumentalisiertes Verfahren, in dem er als Galionsfigur missbraucht werde. Seine beiden Verteidiger Thilo Pfordte und Ulrike Thole hatten schon beim Prozessauftakt im Oktober moniert, Stadler sei quasi als Trophäe im Saal präsentiert worden. Dabei sei die strafrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals für ihn selbstverständlich, erklärte der Ex-Audi-Chef am Dienstag. Aber "es hat mich persönlich bestürzt, in welcher Form die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft mit mir umgegangen sind und nach wie vor umgehen". Er halte es weiter für unangemessen.

Der frühere Audi-Vorstandsvorsitzende widersprach den ihm zur Last gelegten Vorwürfen "in aller Deutlichkeit". Er habe in der fraglichen Zeit nichts von manipulierter Abgastechnik gewusst. Nach September 2015 habe es noch bis Ende 2016 keine Hinweise für ihn gegeben, dass irgendetwas eventuell nicht gesetzeskonform sei, auch nach Gesprächen mit dem Bundesverkehrsministerium und dem Kraftfahrtbundesamt nicht. Nach der Aufdeckung des Dieselskandals bei VW-Vierzylinder-Motoren durch die US-Umweltbehörde im September 2015 habe der Entwicklungschef der Audi-Sechszylinder-Diesel dem Audi-Vorstand versichert, "dass der V6 TDI keine Prüfstandserkennung habe", erklärte der 57-Jährige. Der Mann habe betont, dass "der Grundsatz Rolle gleich Straße gelte". Umso größer sei anschließend der Schock gewesen, als die US-Behörden im November 2015 auch dem V6-Motor eine illegale Software bescheinigten. Darauf seien der Verkauf eingestellt und einige leitende Motorentwickler beurlaubt worden. Trotz Absetzung der Chefs, eines Amnestie-Programms und Aufrufen zur Aufklärung hätten die Mitarbeiter aber leider weiter geschwiegen, sagte Stadler in seiner Einlassung. Die zuständigen Techniker hätten dem Audi-Vorstand zudem versichert, "dass der Sechszylinder-Diesel den europäischen Zulassungsbedingungen entspricht". Denn dieser habe eine ganz andere Warmlauffunktion als der in den USA.

Die Behauptung des Mitangeklagten Giovanni P., er, Stadler, habe ihn daran gehindert, US-amerikanische Umweltbehörden über die illegale Technik zu informieren, wie es in der Anklage heißt, bezeichnete der Ex-Vorstandsvorsitzende als "eine von ihm aufgestellte Legende". Er habe vielmehr immer für Transparenz plädiert und alle Mitwisser gebeten, "die Hosen herunterzulassen", um die illegalen Vorgänge aufzuarbeiten.

In seiner Zeit als Chef sei es zu gravierenden Fehlern und strafbaren Handlungen bei Audi gekommen, sagte Stadler. Er mache es sich persönlich zum Vorwurf, dass er den Schaden nicht habe verhindern können. Verantwortung übernehme er aber nur dafür, wofür er tatsächlich zuständig gewesen sei, und die Vorwürfe der Ermittler gegen ihn seien unzutreffend. Es sei aber im Übrigen auch seine und die Pflicht der übrigen Vorstandsmitglieder gewesen, den Fortbestand des Unternehmens in der Krisenzeit zu sichern.

Walter Lechner, Verteidiger von Giovanni P., warf dem Gericht am Dienstag vor, den Prozess trotz der Corona-Pandemie weiterzuführen. Er halte das für unverantwortlich und brandgefährlich und sprach von einer tickenden Zeitbombe. Vorsitzender Richter Stefan Weickert erklärte dagegen, der Saal in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim entspreche allen Anforderungen. Die Verhandlung wird diesen Mittwoch fortgesetzt.

Der erste Prozess um den Dieselskandal auf deutschem Boden findet im Hochsicherheitssaal in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim statt. Angeklagt sind Rupert Stadler (57), der ehemalige Motorenchef Wolfgang Hatz (61), der frühere Dieseltechnik-Teamleiter Giovanni P. (63) und dessen Mitarbeiter Henning L (53). In dem Verfahren geht es um illegale Abschaltvorrichtungen bei der Abgasreinigung in Dieselautos und die Frage, ob derart manipulierte Fahrzeuge in Europa auch noch auf den Markt kamen, nachdem der Abgasskandal im Herbst 2015 in den USA publik geworden war. Rupert Stadler soll dies zumindest für möglich gehalten haben. Die von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Vorwürfe und Belege füllen 429 Seiten. Die 5. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München wird bei Bedarf aber auch auf mehr als 500 Zeugen zurückgreifen können. Kommende Woche soll die Beweisaufnahme beginnen. Nach jetziger Planung gilt der 22. Dezember 2022 als letzter Prozesstag.