Ingolstadt
Sechs Jahre Freiheitsstrafe für Hacker von Online-Konten

Möglicherweise ist er in gut zwei Jahren wieder auf freiem Fuß

19.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:12 Uhr

Das Ingolstädter Landgericht verurteilte einen 24-Jährigen aus Essen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Zusätzlich ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Foto: Hammer

Von Andreas Müller

Ingolstadt – Es ist kein Geheimnis, dass Sachverständige vor Gericht großen Einfluss haben. So auch am Dienstag, als das Ingolstädter Landgericht einen 24-Jährigen aus Essen, der bundesweit Online-Konten gehackt und einen Schaden von rund 1,4 Millionen Euro verursacht hat, wegen gewerbsmäßigen Computerbetrugs und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat (wir berichteten).

Der Mann hatte eingeräumt, gemeinsam mit einem Komplizen, den er nie getroffen habe und nur unter dem Kürzel „N. L.“ kenne, Zugangsdaten zu Online-Konten im Internet gekauft zu haben. Durch Täuschen der Banken ist es den beiden bei 53 von 174 Konten gelungen, Geld auf Geldwäschekonten zu überweisen und sich – zum Teil nach Umwandlung in Bitcoins – auszahlen zu lassen. Die Ermittlungen in Gang gebracht hat ein Mann aus dem Ingolstädter Raum, von dessen Konto 52000 Euro abgebucht worden waren.

Nach Abzug aller Kosten sind dem Angeklagten 210000 Euro verblieben, die er vollständig aufgebraucht hat. Ob er das Geld jemals wird zurückzahlen können, ist schon deshalb fraglich, weil er nach eigenen Angaben um die 40000 Euro Altschulden hat. Bei seiner Verlobten hingegen war sehr wohl etwas zu holen: Ihr hatte der Angeklagte eine aus Taterträgen finanzierte Rolex-Uhr geschenkt, die sie nun zurückgeben muss.

Staatsanwältin Simone Müller von der Zentralstelle Cybercrime Bayern in Bamberg hat eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren gefordert. Ihr war das Geständnis des Angeklagten zu „oberflächlich und lückenhaft“ mit Blick auf den ominösen „N. L.“ und zwei andere mutmaßliche Komplizen. Verteidiger Christian Barthelmes hingegen bezeichnete das Geständnis als „umfassend“ und hielt eine Strafe von fünf Jahren für angemessen. Auch das Gericht ging davon aus, dass der Angeklagte alles gesagt habe, was er wisse.

Überraschend einig waren sich Gericht, Verteidigung und Generalstaatsanwaltschaft bei der Frage der Unterbringung. Ausschlaggebend war das Gutachten eines Erlangener Psychiaters, der zu dem Ergebnis kam, dass das Leben des 24-Jährigen „wesentlich durch eine Suchtmittelproblematik geprägt ist“. Weil Kokain das Spielzentrum im Gehirn stimuliere, habe er auch noch zu spielen begonnen. „Glauben Sie ihm das?“, fragte der Vorsitzende Richter Konrad Kliegl skeptisch. Der Sachverständige räumte ein, dass er sich zwar auf Angaben des Angeklagten stütze und ein „intelligentes Aneignen“ möglich sei. Die Angaben würden jedoch zur Biografie des 24-Jährigen passen. Er halte eine Drogensucht deshalb für „plausibel“.

Der Gutachter war sich zudem sicher, dass die Drogensucht die eigentliche Ursache für das delinquente Leben des 24-Jährigen sei, der weder Schule noch Lehre abgeschlossen hat. Interessant dabei: Bei keiner der zehn Vorverurteilungen des Angeklagten ist von Drogen die Rede. Auch im jetzigen Verfahren hat er erst ein halbes Jahr nach seiner Inhaftierung erstmals über Drogenmissbrauch gesprochen. Zu dem Zeitpunkt waren die Haare, mit denen ein Konsum hätte nachgewiesen werden können, jedoch schon abgeschnitten. Und dann war da noch die Freundin des Angeklagten, die er als seine Verlobte vorgestellt hat und die deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht hatte. Warum hat sie nicht ausgesagt?

Die Einweisung in eine Entzugsklinik ist bei Straftätern sehr beliebt. Von Hafterleichterungen abgesehen, kann bei erfolgreicher Therapie die Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, ohne Einweisung nur ein Drittel. Weil die Untersuchungshaft angerechnet wird, könnte der Essener bereits im Sommer 2024 wieder auf freien Fuß kommen.

Weil auch der Gesetzgeber in der jetzigen Regelung „sachwidrige Anreize“ ausgemacht hat, wird gegenwärtig im Bundestag über einen Gesetzentwurf beraten, mit dem die Voraussetzungen für eine Unterbringung geschärft werden sollen. Vor allem aber soll die Halbstrafenbewährung abgeschafft werden.

DK