„Nun werden Sie mal nicht komisch, junger Mann“

Eine hoch amüsante und auch nachdenkliche Reise mit Gregor Gysi durch die Absurditäten der Politik

28.02.2020 | Stand 28.02.2020, 10:11 Uhr
Gysi2 −Foto: SCHMATLOCH

Eine hoch amüsante und auch nachdenkliche Reise mit Gregor Gysi durch die Absurditäten der Politik

(ty) Er ist noch immer einer der brillantesten Rhetoriker und klügsten Köpfe der deutschen Politik. Und das stellte Gregor Gysi erneut unter Beweis, als er auf Einladung der Ingolstädter Linken vor dem Café Tagtraum auf dem Paradeplatz vor rund 300 Zuhörern seinen Gedanken zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft freien Lauf ließ. Ob seines süffisanten Humors immer wieder von spontanem Applaus unterbrochen hielt er seine Zuhörer trotz eisiger Temperatur gut eine Stunde lang bei Laune und markierte mit seinem Auftritt einen unbestreitbaren Höhepunkt in dem ansonsten doch eher drögen Kommunalwahlkampf.

Man muss nicht unbedingt immer seiner Meinung sein, um dem inzwischen 72-Jährigen in hohem Maße amüsiert zuzuhören. Immerhin wird man ja ab 50 weise, wie er meinte. Ja und mit 60 sollte man dann langsam die Privilegien des Alters annehmen. Und er erzählte, wie ihn im Alter von 60 Jahren einmal ein junger Mann gefragt hat, ob er seine Tasche tragen solle. Gysi entgegnete: „Nun werden Sie mal nicht komisch junger Mann. Das kann ich schon noch alleine.“ Aber das sei ein Fehler gewesen: „Ich hätte sagen sollen ja. Und da hinten steht noch ein Koffer. Man darf die Privilegien des Alters nicht zurückweisen.“

Es war eine gekonnte Mischung aus Humor, aktueller Politik und nachdenklichem Weitblick, die Gysi seinen Zuhörern bot. Und so machte er sich erst einmal gehörig über die SPD lustig, die sich nach den Wahlen in Hamburg als großer Sieger gefeiert hat: „Man verliert sechs Prozent und feiert wie verrückt, verliert sechs Prozent und fühlt sich in seiner Politik voll bestätigt. Das ist halt eine neue Rechenweise.“

Wo AfD und rechter Terror beginnen, endet Gysis Humor. Nach der Wahl in Halle, wo FDP, CDU und AfD zusammen den Ministerpräsidenten gewählt haben, sei ein Kulturbruch eingetreten. Die Aufgabe der AfD bestehe darin, rechtes Gedankengut wieder salonfähig zu machen. „Wenn wir an Halle und Hanau denken, dann wird es höchste Zeit, das ernst zu nehmen. Es ist kein Spiel mehr.“ Und ernst nehmen bedeutet für Gysi nicht zuletzt, genau das Gegenteil von rechts zu wählen, nämlich links. „Markus Söder hat am Aschermittwoch gesagt, die Grünen sind seine Gegner, die AfD sein Feind. Uns muss er als Feind noch kennenlernen.“

Überaus interessant Gysis Gedanken zu den Kommunen, die ihm wichtiger seien als die Bundespolitik. „Der Bund hat mehr zu entscheiden“, meinte der Bundestagsabgeordnete der Linken, „aber das Leben findet in den Kommunen statt.“ Und da hat er einen Konstruktionsfehler im Grundgesetz ausgemacht. Im Bundestag seien die Parteien vertreten, im Bundesrat die Länder, von denen man annahm, sie würden die Kommunen mitvertreten. „Das ist allerdings sehr häufig ein Irrtum.“ Die Kommunen würden bei Entscheidungen häufig benachteiligt. Sie seien zum Stiefkind der deutschen Politik geworden. Gysi plädiert deswegen für eine dritte Kammer neben Bundestag und Bundesrat, eine, in der die Kommunen das Entscheidungsrecht haben. „Das werden wir so schnell nicht bekommen. Aber nachdenken sollten wir darüber.“

Nach soviel ernster Politik war es dann wieder Zeit für einen etwas humorvollen Blick auf die Finanzpolitik des Bundes und das „sexuell erotische Verhältnis“ des Finanzministers mit der sogenannten schwarzen Null. „Wenn Du im Augenblick Schulden machst, bekommst du bei der Zinssituation sogar noch Geld dazu. So etwas gab es überhaupt noch nicht.“ Genau deswegen verstehe er auch jenes „sexuell erotische Verhältnis“ zur schwarzen Null nicht. Vor allem bei dem immensen Investitionsrückstau in Deutschland.

„Ich habe mir überlegt, wann ich in meinen Leben überhaupt nicht zugänglich war für Vernunft und Logik. Das war in den wenigen „sexuell erotischen Momenten. Da ist bei Männern das Gehirn abgeschaltet.“

Viele Kommunen könnten bereits jetzt ihre Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen, die Infrastruktur verfalle, Schüler würden nachhause geschickt, weil in der Schule die Toiletten nicht mehr funktionieren oder Lehrkräfte fehlen. „Wir mussten in Berlin sogar schon eine Brücke sperren, weil sie sonst einfallen würde wie in Italien.“

Vom flächendeckenden Handynetz gar nicht zu reden. Das sei eine Fata Morgana. „Ich bin durch die Slowakei gefahren, ohne dass das Netzt auch nur einmal unterbrochen gewesen wäre. Bei uns ist das ständig der Fall.“ Und selbst in Uganda habe man ein lückenloses Handynetz. „Ich werde jetzt im Bundestag Entwicklungshilfe aus Uganda beantragen.“

Das Thema Pflegekräfte war in Ingolstadt natürlich bestens aufgehoben. „200 000 Pflegekräfte fehlen jetzt schon bei uns. Wir müssen diese schwere Arbeit ganz anders schätzen.“ Und an die Gewerkschaften gerichtet meinte Gysi: „Es geht hier nicht um eine Lohnerhöhung um fünf oder zehn Prozent, sondern um eine Verdoppelung des Lohns.“

Jede Argumentationskette Gysis führte ihn selbstredend zu dem Schluss, man müsse eben links wählen. „Sie haben hier tolle Kandidaten. Eva Bulling-Schröter kenne ich noch aus dem Bundestag. Die kann eine Leidenschaft entwickeln, sage ich Ihnen. Da wird einem als Mann ganz bammelig. Solche Frauen brauchen wir.“

Natürlich war viel zu hören zu sozialen Fragen, zu dem fehlenden Druck auf die Parteien, wirklich sozial sein zu müssen. „Mit hat einmal ein CSU-Abgeordneter die Frage gestellt, aus welchem vernünftigen Grund wir sozialer sein sollten als beispielsweise Portugal. Und ich habe geantwortet: Außer, dass es im Interesse der Menschen ist, fällt mir auch keiner ein.“

Viel zu hören war auch über die Flüchtlingssituation, den Kampf, den die AfD gegen die Flüchtlinge führt statt gegen die Fluchtursachen. „Ich war mal als Mitglied einer sechsköpfigen Gruppe in Kairo. Da war gerade Ramadan. Und am Abend standen dann überall die Esstische. Und an jedem Tisch hat man uns gefragt, ob wir mitessen wollen. Mal ganz abgesehen davon, wie man so kochen kann, dass man problemlos zusätzlich sechs Mann mitversorgen kann: Wann ist es Ihnen das letzte Mal passiert, dass sie das Fenster aufgemacht und sechs Ägypter zum Abendbrot eingeladen haben?“

Vielleicht hat Gott die Erde ja deswegen zu einer Kugel gemacht, damit wir den Weg, der vor uns liegt, immer nur ein Stück weit sehen können. Sagt die Schriftstellerin Tanja Blixen in ihrem Roman „Out of Africa“. Gysis Blick geht in vielen Dingen doch ein klein wenig weiter. Zum Beispiel beim Thema Digitalisierung. Er sieht über die Tatsache hinaus, dass viele Berufe einfach wegfallen werden wie es auch nach der Erfindung der Dampfmaschine der Fall war, ganz andere Probleme auf uns zukommen. Das der Vereinzelung zum Beispiel, wenn ob der neuen Möglichkeiten immer mehr Menschen zuhause arbeiten und ihnen deswegen die politische und soziale Auseinandersetzung mit anderen fehle, das, was das Leben ausmache. „Wer den ganzen Tag zuhause vor seinem Computer sitzt, wird mit der Zeit irgendwie komisch. Wir müssen uns Strukturen einfallen lassen, wie man das Zusammenleben der Menschen in dieser Situation organisiert. Das sind auch Kirchen und Gewerkschaften gefragt.“

Und noch eine Folge der Digitalisierung, bei der es nicht darum gehe, sie abzulehnen oder gegen sie zu sein, sondern in die richtigen Bahnen lenke. Und das sind die globalen sozialen Folgen. Zu den Fluchtursachen Krieg, Hunger und ökologische Katastrophen komme eine neue durch die Digitalisierung hinzu. „Früher wussten die Menschen in Afrika gar nicht, wie wir in Europa und anderen Teilen der Welt leben.“ Das sei seit der Erfindung von Handy und Internet anders. „Früher war die soziale Frage vorwiegend eine nationale Frage. Früher war die soziale Vergleichbarkeit weitgehend national. Heute ist sie global. Ein Ingenieur in Uganda weiß ganz genau, wie er leben würde, würde in Deutschland oder woanders arbeiten. Und dieser weltweite Vergleich des Lebensstandards ist eine kommende Ursache für Fluchtbewegungen. Die soziale Frage ist eine Frage der Menschheit geworden. Und von uns Linken erwarte ich, dass wir darauf eine Antwort finden.“

Vor der künstlichen Intelligenz, die ja in Ingolstadt ein Zentrum bekommen soll, sei ihm nicht bange, solange „künstliche Intelligenz nichts könne, was mit einem „f“ beginnt: Führen, fühlen und fortpflanzen. „Ich hoffe Sie merken, dass ich mich anständig ausdrücke.“ Doch führe die Digitalisierung dazu, dass man über Entlohnung und Verleitung von Arbeitszeit neu nachdenken müsse. „Seit den Zeiten der Sklaverei ist die Arbeitszeit immer weniger geworden. Aufgabe der Gewerkschaften ist es, diese Arbeitszeit gerecht zu verteilen.“ Die Digitalisierung beträfe zudem die Besteuerung, wenig von der Lohnsteuer hin zur Wertschöpfungsabgabe. Die sei flexibler für Unternehmen, weil sie nicht unabhängig vom Verdienst hohe Lohnnebenkosten zahlen müssten. Wer weniger Wertschöpfung habe, müsse weniger Abgaben zahlen, aber nicht gleich die Menschen entlassen. „Die Digitalisierung wird dazu führen, dass wir hier anders denken müssen.“

Und schließlich müsse man auch in Sachen Demokratie anders denken. „Nicht Frau Merkel entscheidet, was der Präsident der Deutschen Bank macht, sondern der entscheidet, was Frau Merkel macht.“ Es sei hoch an der Zeit, das Primat der Politik über die Wirtschaft wiederherzustellen.