Mutmaßlicher Raser vor Gericht

20.08.2020 | Stand 20.08.2020, 21:49 Uhr
Angeklagter im Raserprozess −Foto: Heimerl

Nach tödlichem Auffahrunfall

(ty) Er soll am 20. Oktober vorigen Jahres durch völlig unangemessene Geschwindigkeit einen schweren Auffahrunfall mit einem Todesopfer auf der A9 verursacht haben. Deshalb muss sich ein 23-jähriger Geisenfelder seit Donnerstag vor dem Ingolstädter Landgericht verantworten -

Der Prozess vor der 1. Strafkammer steht wegen der teils drastischen Urteile in den bislang wenigen ähnlichen Raser-Verfahren vor anderen deutschen Gerichten unter regem Medieninteresse. Es war spät abends, als der Angeklagte aus dem Landkreis Pfaffenhofen im vorigen Herbst auf der Autobahn mit seinem getunten BMW M4 (laut Anklageschrift 560 PS und Maximalgeschwindigkeit 350 km/h) in Schweitenkirchen in Richtung Nürnberg auf die Autobahn auffuhr, um offenbar einen heißen Reifen riskieren zu wollen. Zumindest sah sich gemäß Anklage ein Zeuge, der selber mit 170 Stundenkilometern unterwegs gewesen sein will, von dem heranschießenden nachfolgenden Fahrzeug zum Verlassen der linken Fahrspur veranlasst. Kurz nach der Anschlussstelle Manching, bereits im Ingolstädter Abschnitt der A9, dann der verhängnisvolle Unfall: Der BMW fährt um etwa 23 Uhr mit hoher Geschwindigkeit - in der Anklage werden "mindestens 232 km/h" genannt - auf den Audi eines 22-jährigen Gaimersheimers auf, der gerade zwecks Überholvorgang von der mittleren auf die linke Spur gewechselt ist. Im genannten Autobahnteilstück gilt eine nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der vorausfahrende junge Mann ordnungsgemäß gefahren ist, also mindestens 100 Stundenkilometer langsamer unterwegs war. Der Aufprall muss furchtbar gewesen sein. Ein Ersthelfer berichtete vor Gericht, dass der 22-Jährige tödlich verletzt in seinem völlig zerstörten Auto saß und wenige Minuten später, bei Eintreffen der Feuerwehr, noch in dem Wrack starb. Die beiden beteiligten Fahrzeuge waren noch weit über die Fahrbahn gerutscht. Der BMW soll nach Zeugenaussagen regelrecht abgehoben und sich überschlagen haben.

Der Unfallverursacher wurde allerdings nur leicht verletzt. Er soll am Wrack des anderen Autos aufgetaucht sein und hilflos immer wieder einen Ausruf getan haben: "Mein Freund, mein Freund - was habe ich getan? ! " Zum Prozessauftakt hat der aus der Untersuchungshaft vorgeführte Angeklagte gegenüber den Angehörigen des Opfers unter Tränen sein tiefes Bedauern über das tragische Geschehen ausgedrückt. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht an das Unglück denke - "es zwingt mich Tag für Tag in die Knie", sagte der junge Mann, der mit weißem Hemd, kurzen dunklen Haaren, kurzem Vollbart und Brille einen nach bürgerlichen Vorstellungen seriösen Eindruck macht. Wenn er könne, so der Angeklagte mit gebrochener Stimme, würde er sein "Leben eintauschen", um das Opfer zurückzubringen, würde damit "keine Sekunde zögern".

Verteidiger Adam Ahmed (München) machte in einer Erklärung deutlich, dass er den Tatvorwurf des Totschlags für nicht vertretbar hält. Es habe sich bei dem Unfall nicht um die Folge eines verbotenen Autorennens gehandelt. Seiner Auffassung nach gehöre das Verfahren nicht vor das Schwurgericht, sondern wegen fahrlässiger Tötung vor ein Amtsgericht. Co-Verteidiger Andreas Ruch (ebenfalls München) erklärte, dass der Unfall nur bedingt oder gar nicht mit dem Tempolimit im fraglichen Abschnitt in Verbindung gebracht werden könne - das gelte nämlich allein dem Lärmschutz und nicht der Abwehr von Gefahren auf der Strecke. Die Strafkammer unter Vorsitz von Landgerichtsvizepräsident Konrad Kliegl hat beim Eintritt in die Beweisaufnahme mehrere Zeugen vernommen, die seinerzeit den Unfall als Fahrer oder Beifahrer auf der Autobahn miterlebt oder zumindest Randerscheinungen beobachtet hatten.

Eine Frau, die dem Audi mit ihrem Pkw auf der mittleren Spur unmittelbar gefolgt war, sagte aus, dass dessen Fahrer zwecks Überholmanöver einen korrekten Spurwechsel nach links mit Blinklicht angezeigt und vollzogen habe. Als der Audi bereits links gefahren sei, sei sie selber von dem Unfallverursacher überholt worden, und zwar äußerst rasant: "Ich habe einen schwarzen Strich neben mit gesehen - dann hat es schon geknallt. " Diese Frau und auch andere Zeugen berichteten, dass es zum Unfallzeitpunkt relativ normalen Verkehr auf der A9 gegeben habe, dass auf der rechten und mittleren Spur durchaus etliche Fahrzeuge unterwegs gewesen seien. Der Angeklagte, der laut Verteidiger im Prozess vorerst keine Angaben zum Unfallhergang machen will, hatte bei einem Haftprüfungstermin einmal angegeben, dass er die Autobahn als recht leer erlebt habe, nur gelegentlich sei ein Fahrzeug unterwegs gewesen.

Der Audifahrer, so diese Aussage, sei plötzlich und ohne Blinkzeichen auf die linke Spur gewechselt. Im Prozess, für den das Schwurgericht vorerst neun Verhandlungstage angesetzt hat, wird den Beurteilungen des Unfallhergangs durch Sachverständige große Bedeutung zukommen. Die Familie des aus Kroatien stammenden getöteten jungen Mannes tritt als Nebenkläger auf; die Angehörigen sind für das Verfahren teils aus Kroatien angereist. Fortgesetzt wird die Verhandlung am 4.September.