Blick in die Geschichte
Lange her: Mikrochips aus Ingolstadt

Einst gab es in Ingolstadt eine Halbleiterfabrik

21.04.2022 | Stand 23.09.2023, 1:51 Uhr

Mikrochip von Samsung Electronics (2001). Foto: Reuters/Hand out

Den Autobauern fehlen Halbleiter. Seit Monaten schon schwelt diese Krise weltweit, oft stehen Bänder still, weil diese für moderne Autos so wichtigen Bauteile nicht geliefert werden. Ach, könnten wir doch schon in der Zeit zurück reisen. Zumindest für Audi läge das Glück dann ganz nah: In Ingolstadt gab es in den 1970er Jahren eine Halbleiterfabrik. Die schließlich sogar zur Gründung der Ingolstädter „Industrieförderungsgesellschaft“ IFG führte – ein Stück Industriegeschichte.

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1953 erschien in unserer Zeitung erstmals dieser merkwürdiger Begriff: Halbleiter. Die Erklärung zerstreute rasch den Eindruck, dass es sich hier um etwas Unfertiges handle. „Ein Halbleiter besitzt sowohl Eigenschaften eines Metalls wie auch Nichtmetalls und kann als Strom-Gleichrichter verwendet werden“ – die elektrotechnische Grundlage der Produktion von Transistoren. Und damit einer Revolution: Computer.

Auf der selben Themenseite „Technik der Zeit“ stand übrigens ein bedingt verheißungsvoller Artikel über ein „Ferngespräch mit einem Roboter“. Das „Notaphon“ könnte eines Tages die Sekretärin ersetzen, gab der Autor zu bedenken. Es drohe Disruption, würde man heute sagen, die Umwälzung ganzer Branchen kraft der geballten Wucht der Digitalisierung. Komplette Berufsfelder würden absterben, befürchtete man damals (als man das Wort Disruption noch nicht kannte) und heute wieder, da die Künstliche Intelligenz bei vielen Angestellten Besorgnis erregt. Diese Geschichte wiederholt sich sehr wohl.



Der ehrbare Beruf der Sekretärin hatte immer Zukunft, nur dass sie heute Team Assistant heißt. Die teils optimistische, teils düstere Sonderseite über die Halbleiter aus dem Jahr 1953 erzählt viel über die wohl zeitlose Ambivalenz moderner Technologie: Automatisierung, Roboter und Computer-Revolution waren seit den 1950er-Jahren lange gleichermaßen angstbesetzte wie Hoffnung nährende Begriffe.

Audi fand in die Spur



In Ingolstadt war von Skepsis nichts zu spüren, als 1969 Technikpioniere aus den USA ans Tor klopften. Der Weltmarkführer auf dem Feld der Halbleiterfertigung eröffnete an der Römerstraße ein Werk: Texas Instruments. Auf 6500 Quadratmetern Fläche führten gut 650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Industriestandort weiter in die Zukunft. Auch Audi fand damals in die Spur. Es ging voran.

Die Texaner sprachen mit großen Anzeigen im DONAUKURIER gezielt Frauen für das Personal an, warben mit „kostenloser, kleidsamer Arbeitskleidung, meist sitzender Beschäftigung“ und Schichtbeginn immer erst um 14.30 Uhr. „So können Sie einen Einkaufsbummel machen oder die Kinder versorgen.“ Vor allem biete der Konzern „einen krisensicheren Arbeitsplatz“.

Oberbürgermeister Otto Stinglwagner (SPD) begrüßte die Ansiedelung „neuer, kaum konjunkturabhängiger Branchen“. Das werde die „relative Monostruktur des Industriestandorts Ingolstadts auflockern und weniger krisenanfällig machen“. Möglich, dass er mit Monostruktur eher die Raffinerien meinte als Audi.

Als Bauherr der Mikrochip-Fabrik trat die Stadt über eine Leasing GmbH in Aktion. Texas Instruments blieb Mieter. Ein Novum. Dieses Konstrukt forcierte dann die Gründung der „Industrieförderungsgesellschaft“ IFG.

Die Zukunft war bald Vergangenheit. Schon 1976 sperrten die Amis ihr Werk zu. Die Belegschaft stand auf der Straße. Ziemlich disruptiv.

sic