Studie sagt kaum kompensierbaren Erziehermangel voraus
Konkurrenzkampf um Fachkräfte

06.07.2022 | Stand 06.07.2022, 7:45 Uhr
Kindergarten −Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Das Gesetz liest sich gut: Ab 2026 soll es auch an Grundschulen ein Ganztagsangebot geben. In der Praxis und in Studien deutet aber vieles auf ein Scheitern hin. Aus Bayern kommt ein Versprechen.

Fünf Jahre vor der schrittweisen Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung steuert Bayern auf einen massiven Fachkräftemangel hin. Zwischen dem prognostizierten Bedarf und dem voraussichtlichen Angebot an Fachkräften klafft zum Ende des Jahrzehnts alleine an den Grundschulen eine Lücke von fast 21 000 Personen.

Dies geht aus dem «Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022» der Bertelsmann Stiftung hervor. An den Kindertagesstätten wären zusätzlich 46 000 Fachkräfte bis 2030 nötig, heißt es in der Studie. Im Freistaat zeichne sich ein Konkurrenzkampf um Fachkräfte ab.

«Bayern kann die Umsetzung des Rechtsanspruchs für alle Kinder bis 2030 kaum stemmen, der Fachkräftebedarf ist bis dahin nicht zu decken», sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung. Zugleich betonte sie: Eine lückenhafte und zudem uneinheitliche Datengrundlage für die Ganztagsangebote in schulischer Verantwortung erschwere in Bayern eine differenzierte Bestandsaufnahme.

«Ja, es gibt Probleme, weil die Fachkräfte fehlen. Und ja, es ist wünschenswert, die Qualität weiter zu verbessern», sagte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) in ihrer Regierungserklärung im Landtag. Obwohl es noch viele offene Fragen gebe, könnten sich die Eltern aber darauf verlassen, «dass ihr Grundschulkind aufwachsend ab dem Jahr 2026, wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt, auch am Nachmittag gut betreut wird». Der Ganztagsausbau sei sozial-, wirtschafts- und familienpolitisch gerade jetzt dringend notwendig.

Helfen sollen laut Scharf mehr Fort- und Weiterbildungen sowie finanzielle Zuschüsse für die Kommunen. Sie kündigte zum einen eine finanzielle Förderung für den Ausbau an Plätzen bis 2029 an, zum anderen sollen mehr Quereinsteiger Fachkräfte werden.

«Wir müssen an die Ausbildung ran, und an die Fort- und an die Weiterbildung», hatte die Ministerin schon zuvor nach einer Sitzung des Kabinetts in München erklärt. Zwar sei die Erzieherausbildung bereits auf vier Jahre verkürzt worden, «jetzt geht's darum, dass wir die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger noch mehr an die Hand nehmen».

Dazu wolle sie eine neue Fortbildungsakademie gründen, sagte Scharf. «Das soll gerade nicht ein zentrales Tagungshaus sein. Vielmehr wollen wir bestehende Angebote der etablierten Träger ergänzen und die digitalen Angebote massiv ausbauen. Damit geben wir gemeinsam einen neuen Schub für die Fort- und Weiterbildung und die Beratung.»

Auch in Bayerns Kitas fehlen vielerorts Fachkräfte - zum Leidwesen der betreuten Kinder und ihrer Eltern. Scharf betonte, im Freistaat arbeiteten mittlerweile in den rund 10 000 Kitas mehr als 110 000 Pädagoginnen und Pädagogen. Zugleich steige aber auch landesweit die Nachfrage nach Betreuungsplätzen.

In Bayern nutzen den Angaben zufolge 36 Prozent der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot. Damit liegt das Land deutlich unter der durchschnittlichen Teilhabequote in den westdeutschen Bundesländern (47 Prozent). Zudem besuchen in Bayern 22 Prozent der Kinder ein Übermittagsangebot, das bis circa 14.30 Uhr zur Verfügung steht. Im westdeutschen Schnitt sind es 18 Prozent.

Die Autoren der Untersuchung attestieren Bayern einen «sehr großen» Abstand bei den Teilhabequoten zum Schnitt der ostdeutschen Bundesländer von 86 Prozent. Würde Bayern bis 2030 zunächst den ostdeutschen Stand mit einer Wochenbetreuungszeit von 40 Stunden erreichen, fehlen noch mehr als 15 000 Fachkräfte.

Selbst wenn ein Teil der Kinder weiterhin die kürzere Übermittagsbetreuung in Anspruch nehmen würde, läge der Personalmangel noch immer bei rund 10 000 Personen. Insgesamt klafft in Bayern also eine Lücke zwischen 10.000 und 21 000 Fachkräften. Das sind mehr als doppelt beziehungsweise fünf Mal so viele Personen wie die mehr als 4000 Fachkräfte, die laut Prognose bis 2030 als neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Verfügung stehen sollen.

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung für Grundschulkinder ist seit 2021 im Ganztagsförderungsgesetz verankert. Er umfasst 40 Wochenstunden inklusive Unterricht und gilt für Kinder von der 1. bis zur 4. Schulklasse. Er soll gestaffelt eingeführt werden: Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift er bei Schülerinnen und Schülern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Grundschulklassen.

Kürzlich hatte das Deutsche Jugendinstitut und die TU Dortmund eine Studie veröffentlicht, wonach viel zu wenig Ganztagsangebote in Bayern zur Verfügung stehen. 54 Prozent der Familien hätten Bedarf - und nicht einmal 40 Prozent einen Platz. Das heißt: Viele Grundschüler, die oftmals schon um 11.15 Uhr Unterrichtsschluss haben, sind schon mittags wieder Zuhause. Das schränkt in der Regel gerade die beruflichen Möglichkeiten von Frauen sehr stark ein.

Um den von Bund und Ländern beschlossenen Rechtsanspruch auf einen Platz zu erfüllen, müssten in Bayern bis 2030 zwischen 108 000 und 136 000 Plätze zusätzlich geschaffen werden, heißt es in der Studie. (dpa)