Junger Mann nach Messerangriff auf Mutter in Psychiatrie

14.10.2020 | Stand 14.10.2020, 14:31 Uhr
Justizia
Symbolbild Gericht −Foto: Pixabay

Gefangen in einer Wahnwelt

(ty) Er hatte sich abgekapselt, zunehmend in seiner eigenen Welt gelebt und schließlich krankheitsbedingt zumindest phasenweise den Bezug zur Realität verloren. In einem schleichend aufgekommenen Wahn hatte er letztlich seine Mutter mit einem Küchenmesser lebensgefährlich verletzt.

Wegen dieses in Schuldunfähigkeit verübten Angriffs und wegen nicht auszuschließender weiterer Gemeingefährlichkeit muss ein 28-Jähriger aus dem Landkreis Pfaffenhofen nun auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie verbleiben. Das Ingolstädter Landgericht hat am Dienstag am Ende eines sogenannten Sicherungsverfahrens diese unbefristete Unterbringung angeordnet.

Wie bereits am Dienstag berichtet, ging es in dem Prozess vor der 5. Strafkammer um einen dramatischen Vorfall in einer Landkreisgemeinde im vergangenen Februar. Der Sohn hatte allen Spuren und auch der Schilderung des Opfers zufolge der inzwischen 66-jährigen Mutter in der Speisekammer ein dort bereitliegendes Küchenmesser von hinten an der linken Schulter in den Rücken gerammt.

Die Frau hatte einen acht Zentimeter tiefen Stich erlitten, der den linken Lungenflügel verletzt hatte. Ohne eine Notoperation wäre sie innerlich verblutet oder möglicherweise durch einen sogenannten Pneumothorax einem Herzversagen erlegen. Der Sohn hatte die Mutter auf deren Wunsch aber noch selber ins Mainburger Krankenhaus gefahren; von dort war sie mit dem Rettungshubschrauber in eine Regensburger Klinik verlegt worden.

Mutter und Sohn, so stellte sich jetzt bei den Zeugenaussagen von Polizeibeamten heraus, hatten den Vorfall zunächst als Unfall geschildert ? die Frau wohl, weil sie sich einen tätlichen Angriff durch den Sohn nicht vorstellen konnte oder wollte, der Sohn womöglich, weil er die eigene Tat krankheitsbedingt in einem anderen Ablauf erlebt hatte. Bei der Ingolstädter Kripo hatte er das Geschehen zunächst quasi als Missgeschick dargestellt: Die Mutter habe sich aus der Hocke erhoben und sei praktisch in das zufällig unter das von ihm in der Hand gehaltene Messer geraten.

Das war nach Spurenlage natürlich völlig unglaubwürdig gewesen. Einem Kripobeamten war das gesamte Aussageverhalten des Tatverdächtigen äußerst seltsam und fragwürdig vorgekommen. Der junge Mann habe während des Verhörs hektisch um sich geblickt, sei "einfach komisch" rübergekommen und habe angesichts der schweren Verletzung der Mutter "null Empathie" gehabt.

Wie schon berichtet, hatte der heute 28-Jährige seit Anfang 2019 wiederholt Auffälligkeiten gezeigt, die auf eine psychische Erkrankung hindeuteten. Unter anderem hatte er sich wohl auch in eine vermeintliche Darmerkrankung hineingesteigert, die er auch bei seiner Mutter vermutet hatte. Er hatte im Internet Unmengen an homöopathischen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln bestellt, die sich bei der Hausbegehung durch die Polizei kistenweise in seinem Zimmer fanden. Ein Onkel hatte den späteren Ermittlungen zufolge bereits ein gerichtliches Betreuungsverfahren angestrengt, das aber offenbar noch nicht weit gediehen war, als es zu der Bluttat kam.

Der im jetzigen Sicherungsverfahren angehörte psychiatrische Gutachter war zu dem Schluss gekommen, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Der Sachverständige führte an, dass der junge Mann offenbar zunehmend unter den Einfluss innerer Stimmen geraten sei, die ihm Handlungen aufgezwungen hätten.

Dies muss auch am Tattag ausschlaggebend gewesen sein: Der 28-Jährige hatte im Gespräch mit dem Facharzt angegeben, dass die Stimme seines (längst verstorbenen) Vaters ihm befohlen habe, nun die Mutter zu "erlösen". Weil die Frau in den Monaten zuvor stark abgenommen hatte, hatte sich beim Sohn offenbar der Gedanke einer schweren Krankheit eingeschlichen. Unmittelbar nach dem Messerstich sei er aber, so die Deutung des Gutachters, dann erschreckt aus seinem Wahn erwacht und habe der Mutter sogar geholfen, ins Krankenhaus zu kommen.

Staatsanwalt Sebastian Hirschberger und Verteidiger Jörg Gragert folgten in ihren Plädoyers der Einschätzung des Sachverständigen, dass der junge Mann noch langfristig therapeutische Hilfe in einer geschlossenen Einrichtung braucht. Noch mangele es an Einsicht in die Krankheit und klaren Medikationserfolgen.

Die Kammer entschied genau in diese Richtung. Vorsitzender Gerhard Reicherl zum Beschuldigten: "Sie sind halt einfach krank." Da derzeit eine weitere Gefährdung seiner Familie oder auch Außenstehender durch den 28-Jährigen nicht auszuschließen sei, brauche es für ihn bis zu einem Therapieerfolg eine sichere Umgebung in einer geschlossenen Einrichtung. Da die Verteidigung noch keine Erklärung abgab, wurde das Urteil allerdings noch nicht rechtskräftig.