Inzest als "Ventil" in einer Ehekrise?

Im Missbrauchsprozess hatten die Gutachterinnen des Wort - Opfer fordert Schmerzensgeld

19.01.2021 | Stand 19.01.2021, 7:42 Uhr
Gericht −Foto: Schmatloch

Im Missbrauchsprozess hatten die Gutachterinnen des Wort - Opfer fordert Schmerzensgeld

Von Bernd Heimerl

Wenn es zutrifft, dass sich ein 46-jähriger Mann aus dem Landkreis Dachau vor gut vier Jahren im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen etliche Male an seiner damals elfjährigen Stieftochter vergangen hat, dann wohl eher nicht aus einer pädophilen Neigung her aus.

Eine psychiatrische Gutachterin hält die mutmaßlichen Taten des Maschinenbauingenieurs, der derzeit in einem größeren Missbrauchsprozess vor dem Ingolstädter Landgericht auf der Anklagebank sitzt, eher für einen typischen Fall von Inzest in einer Familie mit starken Spannungen infolge einer für alle Akteure hoch belastenden ehelichen Krise.

Dem Mann wird vorgeworfen, über ein knappes Jahr hinweg etwa dutzendfach bei dem Kind übergriffig geworden zu sein. Meistens soll es um Fummeleien gegangen sein, mehrfach jedoch verbunden mit einer Penetration durch Finger. Im letzten Fall, in dessen Folge sich das Mädchen seiner Mutter offenbart hatte, soll der Angeklagte jedoch auch noch erfolglos versucht haben, regelrechten Geschlechtsverkehr zu vollziehen.

Für den Mann, der seit dem ersten Verhandlungstag wieder in Untersuchungshaft sitzt, könnte es nach Einschätzung des Gerichts schlimmstenfalls um eine Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren gehen. Der Angeklagte streitet die Vorwürfe allerdings weiterhin ab, möchte sich deshalb auch nicht auf grundsätzlich mögliche Verständigungsgespräche zum Strafmaß einlassen.

Auch wenn die 1. Jugendkammer unter Vorsitz von Gerhard Reicherl beim Fortsetzungstermin am Montag auf Antrag der Staatsanwaltschaft in zwei weniger gravierenden Anklagepunkten das Verfahren eingestellt hat, so bleibt dennoch genug "Verhandlungsmasse", um bei einem Schuldspruch zu einer langen Freiheitsstrafe zu kommen. Das Gericht gab rechtliche Hinweise, wonach im angeblich heftigsten Fall sogar eine Verurteilung wegen einer vollendeten Vergewaltigung in Betracht kommen kann.

Die angesichts bislang heftiger Beweislage drohende Freiheitsstrafe ist zwar für den Angeklagten die größere Bürde, doch hat sich ihm am Montag auch noch eine zweite Front eröffnet, bei der es um viel Geld gehen könnte. Rechtsanwalt Klaus Wittmann (Levelingstraße), der im Prozess das als Nebenklägerin auftretende, heute 14-jährige Mädchen vertritt, stellte nunmehr den Antrag auf ein sogenanntes Adhäsionsverfahren zur Sicherung von Schmerzensgeld und Schadensersatz für das Opfer. Es könnte hier um eine deutlich fünfstellige Summe gehen.

Ein Adhäsionsverfahren dient der Feststellung zivilrechtlicher Ansprüche eines Tatopfers bereits im Strafverfahren. In diesem Fall hat die Kammer noch nicht über die Zulassung entschieden, zumal der Verteidigung Gelegenheit gegeben werden muss, hierzu schriftlich Stellung zu nehmen. Verteidigerin Marion Reisenhofer will dies bis zum nächsten Verhandlungstermin am kommenden Montag, 25. Januar, auch tun.

Vorsitzender Reicherl stellte bereits klar, dass es in der Adhäsion wohl "nur" um ein Schmerzensgeld gehen könne. Müssten noch Beweise zu möglichen langfristigen Folgekosten durch therapeutische Behandlungen des Mädchens erhoben werden, so würde dies den Prozess, der nunmehr ohnehin um einen Tag verlängert werden muss, noch deutlich in die Länge ziehen.

Im Zentrum der Beweisaufnahme standen am dritten Verhandlungstag die beiden Gutachterinnen. Vor der oben erwähnten Psychiaterin, die keinerlei Krankheitsbild und deshalb auch keine Einschränkungen der Schuldfähigkeit beim Angeklagten erkennen kann, war eine Regensburger Psychologin zur Glaubwürdigkeit des Mädchens angehört worden. Diese Expertin hält die Aussagen des Kindes für nachvollziehbar. Sie seien weder durch Belastungseifer noch durch auffällige Verzerrungen oder Widersprüche gekennzeichnet. Die Gutachterin kommt deshalb zu dem Schluss, dass "die Angaben des Opfers als erlebnisorientiert eingestuft werden können".