Schöffengericht verurteilt 55-Jährigen nach sexuellem Übergriff zu einem Jahr Haft auf Bewährung
Im Bett der Frau des besten Freundes

06.08.2022 | Stand 06.08.2022, 7:52 Uhr
Gericht −Foto: Pexels

Von Albert Herchenbach

Das war das Ende einer 30 Jahre langen Freundschaft: Im volltrunkenen Zustand hat sich ein 55-Jähriger, der zu einer Geburtstagsfeier bei seinem besten Freund eingeladen war, ins Bett zu dessen schlafender Ehefrau gelegt, ihr den Slip abgestreift, sie am ganzen Körper geküsst und sich dann auf sie gelegt. Die 54-Jährige, in der Annahme, dass es ihr Mann sei, umarmte ihn – und stellte entsetzt den Irrtum fest. Jetzt, zwei Jahre nach diesem Eklat, treffen die Beteiligten vor dem Schöffengericht erstmals wieder aufeinander. Der Geburtstagsgast muss sich wegen sexueller Übergriffigkeit verantworten. Strafmaß: bis zu fünf Jahre Haft.

„Eine Feier, aus der nur Verlierer hervorgegangen sind“, fasst es Jörg Gragert, der Verteidiger von Alex P. (alle Namen geändert) zutreffend zusammen. Sein Mandant sitzt wie ein begossener Pudel vor ihm auf der Anklagebank, ringt nach Worten und ist immer wieder den Tränen nah. Die beiden Eheleute, die als Zeugen geladen sind, versuchen bei ihren Aussagen Haltung zu bewahren, was nicht so recht gelingt. Und der 28-jährige Neffe der Frau, der nebenan im Wohnzimmer schlief, macht sich Vorwürfe, weil er nichts mitbekommen hat.

Alex P. und die Eheleute Markus, 49, und Elena F., 54, leben in einem Dorf im nördlichen Landkreis Pfaffenhofen nicht weit voneinander entfernt. Alle Familienfeste wurden gemeinsam gefeiert, so auch der Geburtstag von Markus F. Als die meisten Gäste gegangen waren, vertrieb man sich die Zeit noch mit einem Trinkspiel. „Ich war voll“, erinnert sich Alex P. vor Gericht. Gegen 2 Uhr zog sich der Hausherr ins Schlafzimmer zurück. Alex P., erinnert sich der Neffe, „war auf Schmusekurs“, was bei ihm, wenn er getrunken hat, üblich sei: „Er suchte Körperkontakt“, sagt Elena F., „aber es wurde mir zu viel.“ Sie löste die Fete eine knappe Stunde später auf. 

Was dann passierte, daran will sich der 55-Jährige nicht mehr erinnern können. Den Fortgang schildert die Ehefrau. Alex P. habe sich auf den Küchenfußboden zum Schlafen gelegt, sie habe ihm noch eine Unterlage gebracht und sich dann ins eigene Zimmer begeben. Die Eheleute schlafen getrennt, weil Markus F. Schichtarbeiter ist. Es muss zwischen vier und halb sechs gewesen sein, als sie „überall Hände spürte“ und merkte, dass jemand sie in Rückenlage gedreht hat. Als sie entsetzt Alex P. erkannte, habe sie ihn weggeschubst. „Geh weg, ich will dich nicht.“ Der sei erschrocken aufgestanden, habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und das Haus verlassen. Dann habe sie ihren Mann geweckt. 

Alex P. hat ihr inzwischen Schmerzensgeld überwiesen, 7000 Euro hatte ihre Rechtsanwältin gefordert. Deutlich zu viel, verglichen mit ähnlichen Fällen, hatte ihm sein Anwalt erklärt. Aber sein Mandant wollte sich auf Nachverhandlungen nicht einlassen. Wenn Elena F. den Vorfall so geschildert habe, dann wird das wohl auch so gewesen sein, zitiert Gragert seinen Mandanten, und dann stehe ihr das Geld auch zu.

Seit dem Vorfall hat es keinen Kontakt zwischen den ehemaligen „besten Freunden“ gegeben, wie es Markus F. nannte. Jetzt rafft sich Alex P. auf, der die ganze Zeit mit gesenktem und rotem Kopf auf der Anlagebank sitzt und sich die Augenwinkel auswischt. Er erhebt sich: „Es tut mir von Herzen leid“, sagt er mit zittriger Stimme, „ich möchte mich bei dir entschuldigen.“ Elena F. blickt starr geradeaus. 

Auch zwei Jahre nach dem Vorfall ist sie noch traumatisiert. „Die ersten zwei Wochen“, schildert es ihr Ehemann, „hat sie nicht das Bett verlassen. Ein ganzes Jahr hat sie sich komplett zurückgezogen.“ Das sei auch für die Beziehung sehr schwierig gewesen. Noch heute vermeide sie es, am Haus von Alex P. vorbeizufahren, nehme Umwege in Kauf und besuche auch keine Feste mehr. 

Am Morgen danach hatte Markus F. seinen bis dahin besten Freund angerufen und ihn zu einem Treffpunkt bestellt. „Was hast du da für einen Sch… angestellt“, habe er ihn angefahren. Ohne ihm konkret zu sagen, was passiert ist, habe Alex P. die Tat eingeräumt. „Aber er wusste nicht, wie es passiert ist.“

Deshalb hat das Gericht einen Rechtsmediziner um ein Gutachten gebeten. Der sieht für den Angeklagten keine Einschränkung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Von der Küche durch drei Türen in die erste Etage zu gehen, obwohl er sich im Haus nicht auskannte, sich selbst und Elena F. zu entkleiden, das sei ein komplexer Handlungsablauf. „Er wusste, was er tat“, fasst der Gutachter seine Expertise zusammen. Die Notwendigkeit, den Angeklagten wegen seines gewohnheitsmäßigen Alkoholkonsums in eine Entziehungsanstalt zu überführen, sieht er nicht. Alex P., geschieden, hat schon vor Jahren seinen Führerschein abgeben müssen und ist an der MPU gescheitert. 

Die Staatsanwältin hält dem Angeklagten zwar seine Reue zugute, „aber die Familie leidet immer noch“. Sie beantragt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verteidiger kontert: „Da ist Ihnen wohl das Gefühl für die Preise abhandengekommen.“ Das geforderte Strafmaß setze eine schwere Vergewaltigung voraus. Hier sei es nicht zu einem vollendeten Akt gekommen. Und dass das Gericht einen Sachverständigen bestellt hat, hält er eigentlich für überflüssig. Sein Mandant sei doch geständig und habe mit der Zahlung des Schmerzensgeldes die Tat eingeräumt. Er hält eine Freiheitsstrafe von acht Monaten zur Bewährung für angemessen. Das Schöffengericht verurteilt Alex P. zu einer Haftstrafe von einem Jahr, die es für drei Jahre zur Bewährung aussetzt. Dass seine Entschuldigung nicht akzeptiert wurde, „damit müssen Sie jetzt leben“, sagt Amtsrichterin Katharina Laudien. Alex P. verlässt unter Tränen den Gerichtssaal.