Altbürgermeister Albert Wittmann hat angesichts der städtischen Finanzlage ein flaues Gefühl im Magen
„Ich mache mir sehr große Sorgen“

22.09.2021 | Stand 22.09.2021, 9:50 Uhr
Geld −Foto: Andreas Hermsdorf/pixelio.de

Von Michael Schmatloch

Mit Weissagungen ist das so eine Sache. Und die, die in mythologischen Urzeiten jene beneidenswerte Gabe hatten, kamen in aller Regel entweder qualvoll zu Tode oder niemand glaubte ihnen. Laokoon war so ein bemitleidenswerter Fall. Oder auch Kassandra, die Tochter des trojanischen Königs Priamos, die für den heute noch gängigen Begriff der „Kassandrarufe“ Pate stand.

Für reinrassige Kassandrarufe im Ingolstädter Stadtrat ist vor allem einer zuständig: Altbürgermeister Albert Wittmann. Und ähnlich wie dem antiken Vorbild will ihm im Plenum keiner so recht glauben. So auch gestern in der gemeinsamen Sitzung von Finanz- und Personalausschuss, als er mehrfach eindringlich sagte, dass er sich ernste Sorgen um die Finanzen der Stadt mache.

Nachvollziehbar, hatte er doch den Stadtsäckel mit rund 300 Millionen Rücklagen an die jetzige Stadtführung übergeben. Bis 2025 werden daraus rund 184 Millionen Schulden geworden sein. Wenn man die noch nicht abgesegneten personellen Wünsche der Verwaltung mit einbezieht sogar 201 Millionen. Und rechnet man die Theatersanierung und die Kammerspiele mit ein, die in der Haushaltsplanung bislang nur marginal berücksichtigt sind, das könnte der Schuldenberg auch stramm in Richtung der halben Milliarde gehen.

Das trojanische Pferd, vor dem Laokoon und auch Kassandra warnten, sind für Wittmann in erster Linie die Personalkosten. „Das wir ein Einnahmeproblem haben, kann man nicht sagen“, meinte Wittmann auch angesichts der finanziellen Prognosen von Kämmerer Franz Fleckinger. Wenn die eintreffen sollten, „können wir alle zufrieden sein.“

Mit den städtischen Personalkosten gehe man jedoch „stramm auf die 200 Millionen“ zu. „Und das jedes Jahr.“ In der Tat haben sich diese Kosten exorbitant gesteigert. Waren es 2019 noch 142 Millionen Euro, so schlagen 2025 den Prognosen Fleckingers zufolge 198 Millionen Euro zu Buche, mit den geplanten Personalmehrungen gar 202,5 Millionen. Da bleibt nicht mehr viel für die notwendigen Investitionen. Außer eben Schulden machen.

Wittmanns Ruf „Ich mache mir sehr große Sorgen“ scheint da nachvollziehbar. „Wenn wir alles nur noch mit Krediten finanzieren, dann belasten wir die nachfolgende Generation“, so Wittmann, „die Schulden muss ja irgendjemand zurückzahlen.“ Angesichts des städtischen Ausgabefiebers meinte er noch: „Den Konsolidierungsrat können wir eigentlich einstampfen.“

Selbstredend gibt es im Stadtrat auch andere Stimmen. Und das nicht zu knapp. Für Achim Werner, den Meister des keinen Einmaleins der SPD, sei Schulden zu machen angesichts niedriger Zinsen eine „kluge Politik“. Man könne trotz der hohen Personalkosten auch in die Zukunft investieren. Für ihn sei das „Politik aus einem Guss“. Und handelte sich damit eine Retourkutsche von Albert Wittmann ein: „Ihre Rechnungen habe ich noch nie verstanden. Deswegen wundere ich mich nicht, dass ich sie heute auch nicht verstehe.“

Verstehen kann das aber offenbar ein Christian Lange von den UWG. Politik werde schließlich für Menschen gemacht und nichts für das Kapital, orakelte er und war wohl der einzige, der wusste, was er damit meinte. Und an Wittmann gerichtet kam das übliche Argument: „Ihre Finanzpolitik war reine Blockadepolitik.“ Damit stieß in das Horn, das gerne zu klingen gebracht wird, wenn es Kritik gibt an der opulenten Ausgabepolitik der Stadt. Die alte Stadtführung habe Ingolstadt kaputtgespart. Deswegen sei der Investitionsrückstau so groß. Und das gelte für das Personal ebenso wie bei Sanierungsprojekten.

„In letzten zehn bis 15 Jahren haben wir mehr in Schulen und Kitas investiert als jemals zuvor“, konterte Wittmann. Und man habe so viele Investitionsprojekte auf den Weg gebracht, dass die Wirtschaft gar nicht mehr in der Lage war, das abzuarbeiten. „Geld und Personal waren da.“ Es habe nie am Geld gelegen, das für Sanierungen beispielsweise gar nicht abgerufen worden sei. „Hören Sie bitte auf mit ,Es ist alles kaputtgespart worden‘.“ Immer nur zu behaupten, das, was die alte Regierung gemacht habe, sei falsch gewesen, „halte ich nicht für anständig.“

Aber das gegeneinander Ausspielen ist nun mal eine beliebte Übung im Stadtrat. Und so entbrannte in der Ausschusssitzung auch noch ein mittleres Scharmützel über die Frage, ob nun der Ausbau der Ostumgehung Etting wichtiger sei oder die wie auch immer geartete Sanierung des nördlichen Donauufers. „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“, mahnte Wittmann an. Ob man die Kraft und das Geld dafür haben, an der Donau zu bauen, müsse man sehen.

Das sah auch FW-Stadtrat Hans Stachel ähnlich, der befürchtet, dass die Personalkosten die Stadt in die Handlungsunfähigkeit treiben. „Das ist Fakt.“ Für ihn gehöre zu Haushalt auch das Wort „haushalten“. Und ähnlich wie Wittmann meinte er: „Der Konsolidierungsrat war völlig für die Katz.“

Immerhin ist Ingolstadt noch ein paar Meter entfernt beispielsweise von Oberhausen im Ruhrgebiet. Dort geht es angesichts desolater Finanzen nicht mehr um Fragen wie Ostumgehung oder Donauausbau, sondern um ein entweder Hallenbäder aufsperren oder Schlaglöcher flicken. Und Oberhausen ist Ingolstadt in Sachen Strukturwandel leider nur ein paar Jahre voraus.