Das Bürgerbegehren zum Standort der Kammerspiele fordert auch das Verständnis von Demokratie
Hat der Bürger nun das letzte Wort?

24.01.2022 | Stand 24.01.2022, 13:38 Uhr
Bürgerbegehren der Freien Wähler −Foto: Schmatloch

Von Michael Schmatloch

Als Freier Wähler braucht man in Ingolstadt derzeit ein breites Kreuz. Denn kaum haben sie – mit durchaus beachtlicher Unterstützung außerhalb des Vereins – das Bürgerbegehren gegen den Bau der Kammerspiele an der Schutterstraße auf den Weg gebracht, hagelt es Kritik von den Stadtratsparteien, die im Dezember für diesen Bau gestimmt haben und nun nicht müde werden, ihre Argumente bis zum Erbrechen zu wiederholen.

Beinahe täglich hagelt es neue Statements, die von den hinlänglich bekannten Pro-Argumenten bis zu Zweifeln an der Demokratiefähigkeit der Freien Wähler reichen. Dabei ist der Schritt, endlich einmal die Bürger direkt zu befragen, Demokratie in reinster Form.

Auch Oberbürgermeister Christian Scharpf hat sich via Facebook zu Wort gemeldet. Vermutlich, weil er dokumentieren wollte, mit seinem Latein noch nicht am Ende zu sein, sogar mit lateinischen Zitaten gespickt. „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“, schreibt er. Da wird er spitzen, der gemeine Mann auf der Straße, oder wie Scharpf sagen würde: der homo vulgaris. Immerhin liefert er die Übersetzung gleich mit: „Klug handeln und dabei das Ende bedenken.“

Klug handeln und dabei das Ende bedenken. Genau das scheinen die Freien Wähler aus ihrer Sicht auf die Dinge doch vorzuhaben, wenn sie den Schanzer Bürgern die Frage stellen, ob sie die Kammerspiele an diesem Ort haben wollen. Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, bemerkte einst treffend: „Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen.“ In einem etwaigen Bürgerentscheid kämen nun alle zu Wort: Wölfe und Schafe. Was ist daran so verwerflich? Zumal ja längst nicht klar ist, wie es enden wird.

Oder ist es manchem vielleicht schon klar? „Respice finem“, bedenkt das Ende, mahnt OB Scharpf wiederum in der Sprache des homo eruditus, der Sprache des gebildeten Mannes. In der Tat ist es wohl doch die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter, die da mitschwingt in manchem Aufschrei über dieses Bürgerbegehren. Die Angst, der viel zitierte Bürger könnte mehrheitlich der Meinung sein, dass die Kammerspiele nicht an die Schutterstraße gehören. Das Verhältnis der Ingolstädter Politik zum sogenannten Bürger erinnert wieder einmal stark an das bekannte Cartoon von Loriot, auf dem zu sehen ist, wie zwei Jäger vor einem Heer von Hasen flüchten und einer zum anderen sagt: „In der Masse sind sie mir unangenehm.“

Das Fatale an der Situation um die Kammerspiele ist doch: Wirklich ausgegoren ist weder der Plan, sie dort hinzubauen, noch der Plan, sie nicht dort hinzubauen. Stellt sich in letzterem Fall die Frage „Wohin dann?“, so wird sich für den Fall, die Kammerspiele würden in der Tat hinter der Tränktorkaserne gebaut, bald herausstellen, dass die Idee von einem großen und großstädtischen Theatercampus eine Illusion bleiben wird. Nicht nur, weil es an überzeugenden Ideen für eine pragmatische Verkehrsführung für Tränktor- und Schutterstraße gebricht, sondern auch, weil das Stadttheater selbst zum einen falschherum steht und dem Zeitgeist, der sich unüberhörbar mit „Ran an die Donau“ zu Wort meldet, das Hinterteil zeigt. Zum anderen, weil der so heilige Hämer-Bau, an dem Kritik zu üben in Ingolstadt einer Gotteslästerung gleichkommt, bautechnisch eines der übelsten Machwerke ist, die in Ingolstadt je gebaut wurden. Da hilft auch kein Denkmalschutz.

Wäre es nicht fern jeder Realität, man müsste in jeder Stadtratssitzung – die legendär gewordene Forderung von Cato dem Älteren zur Zerstörung Karthagos nutzend – lautstark fordern: „Ceterum censeo Theatrum esse delendam“. Man sollte das Theater abreißen und vernünftig neu bauen. Doch das ist eine andere Geschichte und kaum mehr als ein erheiternder Gedanke für‘s Lagerfeuer.

Und bedeutsamer als die Frage, wo die Kammerspiele einst stehen werden, ist es doch, die Instrumentarien einer Demokratie ebenso wertzuschätzen wie die, die sich ihre bedienen. Und dazu gehören nun einmal Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, wie ein Ratsbegehren auf der anderen Seite. Dazu gehört die Freiheit, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen, wie George Orwell es so treffend formuliert hat.

Apropos „was sie nicht hören wollen“: Ein Punkt, der einen Schmunzeln lässt, ist die kaum bestreitbare Tatsache, dass es nie zu diesem Bürgerbegehren gekommen wäre, hätte nicht die SPD die letzte Kommunalwahl gewonnen, sondern die „Koalition“ CSU und FW wäre von den Wählern bestätigt worden. Denn dann hätten die FWler wohl oder übel die Kröte mit dem Standort der Kammerspiele geschluckt und sich vermutlich eher die Zunge abgebissen, als ein Bürgerbegehren zu fordern.