Dieselbetrugsprozess: Stundenlange Anhörung bringt Gericht nur wenig weiter
"Diesel-Demenz" lässt grüßen

05.05.2022 | Stand 05.05.2022, 9:01 Uhr
Fahnen auf dem Audi-Gelände −Foto: Stefan Eberl

Von Horst Richter

Welche Rolle spielte die Audi-Führungsetage im Betrug um manipulierte Abgastechnik bei Dieselfahrzeugen? Antworten darauf zu finden, fällt dem Gericht im Münchner Dieselbetrugsverfahren nicht leicht, wie sich am Mittwoch erneut zeigte. Einmal mehr ließ die von Prozessbegleitern gern zitierte "Diesel-Demenz" grüßen, als der frühere Bereichsleiter für die Audi-Fahrwerksentwicklung über mehrere Stunden als Zeuge aussagte. Der inzwischen verrentete 68-Jährige hatte für kurze Zeit auch das Gesamtressort technische Entwicklung des Unternehmens kommissarisch geführt. Wirklich neue Fakten brachte er nicht und machte stattdessen oft, wie schon so viele andere vor ihm auf diesem Stuhl, Gedächtnislücken geltend.

Einem der Verteidiger war das dann zu viel. Der Mann möge doch noch einmal auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen werden, um eine Anzeige wegen Strafvereitelung zu vermeiden, wetterte Walter Lechner, der einen von vier Angeklagten vertritt - zu ihnen gehören Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und der ehemalige Audi-Motorenchef und frühere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz. Auch das Gericht war angesichts der großen Erinnerungslücken nicht zufrieden mit dem Gebotenen: "Es ist schon so, dass man das Gefühl haben könnte, sie mauern", sagte der Vorsitzende Richter Stefan Weickert dem Zeugen in aller Deutlichkeit.

Man habe geglaubt, das nur US-Markt betroffen ist
Der Strafkammer geht es darum herauszufinden, ob Rupert Stadler nach Bekanntwerden des Skandals im September 2015 in den USA alles in seiner Macht stehende getan hat, damit keine Fahrzeuge mit manipulierter Abgastechnik mehr auf den EU-Markt kamen - laut Anklage war das nicht der Fall. Die Dieselautos sollen so programmiert gewesen sein, dass sie auf dem Prüfstand alle Abgasgrenzwerte einhielten, während das auf der Straße oft nicht der Fall war. Der Zeuge erzählte, wie dem Ex-Audi-Chef im November 2015 "die Kinnlade heruntergefallen" war, als er davon erfuhr, dass neben VW-Motoren auch Audi-Aggregate mit verbotenen Abschaltvorrichtungen bei der Abgasreinigung ausgestattet waren. "Er hat sich irgendwie vorgeführt gefühlt, weil er dachte, es gäbe kein Problem", erinnerte sich der 68-Jährige. Im Vorstand habe man lange geglaubt, das Ganze betreffe nur den US-Markt, weil dort die Umweltgesetze schärfer seien.

Stadler verfügte nach Aussage des Zeugen über "ein nicht so tiefes technisches Verständnis. Er hat aber nachgefragt, wenn er was nicht verstanden hat". Anders als mit seinem Vorgänger Martin Winterkorn habe man mit ihm aber reden können, ohne Angst, "dass er einem gleich den Kopf abreißt". Grundsätzlich, so sagte der frühere Audi-Bereichsleiter, habe unter Stadler das Motto gegolten: "Wir legen alles offen", in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA).

Was wurde zur Aufdeckung unternommen?
"Warum muss man da erst mit dem KBA diskutieren?", fragte Beisitzer Ulli Konrad. Und er wollte wissen, ob der Zeuge selbst etwas zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten unternommen hatte, als er nach Ablösung der Entwicklungsvorstände Ulrich Hackenberg und Stefan Knirsch für kurze Zeit deren Posten kommissarisch übernahm. "Nein", lautete die kurze Antwort. "Sie kommen da rein und haben nichts veranlasst? ", erwiderte der Richter erstaunt.

Er sei nur als Zwischenlösung auf diesem Stuhl gesessen, bis ein neuer Vorstand gekommen sei, sagte der frühere Audi-Mitarbeiter. Seine Aufgabe sei es unter anderem gewesen, "die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten. Man kann sich ja die Stimmungslage vorstellen, wenn ein Chef nach dem anderen kommt", hatte der Zeuge bei einer Vernehmung im Herbst 2018 erklärt.

Wolfgang Hatz, der laut Anklage auf Führungsebene für die Betrugssoftware verantwortlich sein soll, was er bestreitet, war ein "durchaus innovativer Entwickler", bescheinigte der Zeuge ihm vor Gericht. Es sei kolportiert worden, dass er schon mal die nächste Hierarchieebene übersprungen habe, um Entscheidungen zu beschleunigen. Das seien aber keine Dinge gewesen, die gegen den damaligen Entwicklungsvorstand Michael Dick gerichtet waren. Wer für den Betrug verantwortlich ist, konnte der 68-Jährige nicht beantworten. "Die Frage, wer das konkret getan hat, ist immer wieder intern gestellt worden, aber sie ist nicht gelöst worden", sagte er auch schon bei einer früheren Vernehmung. Der Prozess geht am Dienstag weiter.