Offener Brief des Bündnisses „Ingolstadt ist bunt“ fordert die Solidarität der Corona-Spaziergänger ein
Die „Impflinge“ machen mobil

09.01.2022 | Stand 09.01.2022, 13:49 Uhr
Spaziergang −Foto: Schneider

Von Michael Schmatloch

Die sogenannten Corona-Spaziergänge von Impfgegnern, von Menschen, die ihren Unmut über die verordneten Corona-Maßnahmen kundtun wollen, aber vermehrt auch von Aktivisten aus dem rechten Spektrum locken gerade in der aktuellen Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht jede Woche Tausende auf die Straßen vieler bayerischer Städte. Auch in Ingolstadt gab es bereits einige dieser Spaziergänge, die eigentlich, da es sich um keine angemeldeten Demonstrationen handelt, illegal sind. Gegen die wendet sich jetzt ein offener Brief, mit dem das Bündnis „Ingolstadt ist bunt“ um die Unterstützung für die Mehrheitsmeinung wirbt.

Diese sogenannten Spaziergänge fordern den Unmut vieler „Geimpfter“ heraus, die wie in Eichstätt auch schon mal eine Gegendemonstration auf die Beine stellen oder mit roten und weißen Kerzen für eine Überbrückung der Gräben werben, die sich in der Pandemie aufgetan haben. Auch wenn es reichlich überzogen scheint, so warnen Politiker teilweise gar vor einer Spaltung der Gesellschaft und vor Angriffen auf die demokratische Grundordnung.

Fakt ist, dass es – wenn auch laut Medizinern in verschwindend geringem Umfang – Nebenwirkungen bei Corona-Impfungen gibt. Fakt ist auch, dass die Politik durch teilweise wirre und widersprüchliche Maßnahmen, Empfehlungen und Warnungen (wie beispielsweise beim Impfstoff von Astra-Zeneca) die Bürger verunsichert und die Impfbereitschaft spürbar gedämpft hat. Selbstredend auch durch die Beteuerung führender Politiker, die eine Impfpflicht lange kategorisch und durchaus glaubhaft verneint haben. Dieselben Politiker, die es nun plötzlich nicht mehr erwarten können, bis sie endlich kommt.

Fakt ist andererseits zudem, dass die Impfquote in Deutschland deutlich niedriger ist als in anderen europäischen Ländern und eine von Fachleuten erhoffte Quote von 95 Prozent ohne Impfpflicht nicht zu erreichen ist. Fakt ist nicht zuletzt, dass prominente Impfverweigerer wie lange Zeit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der Bayern-Kicker Joshua Kimmich und aktuell Novak Djokovic, der glaubt, eine ungeimpfte Sonderbehandlung verdient zu haben, nur weil er einen Tennisball zufällig häufiger trifft als ein Känguru, mit ihrem Verhalten den Impfgegnern im Lande massive Schützenhilfe geleistet haben.

Die gegen Corona Geimpften und laut Umfrage auch die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht sind zwar klar in der Mehrheit. Doch bei 30 Prozent Ungeimpften in Deutschland kann man andererseits kaum von einer Splittergruppe sprechen. Selbst wenn man ideologische Blindgänger, hirnlose Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker abzieht, bleibt doch eine deutliche Zahl an Menschen, die einfach Angst vor der Impfung, Angst vor etwaigen Nebenwirkungen oder Langezeitschäden hat.

Die Qualität einer Demokratie bemisst sich nicht zuletzt daraus, wie sie mit abweichenden Meinungen von Minderheiten umgeht, wie tolerant sie Andersdenkende behandelt. Umgekehrt stellt sich selbstredend aber auch die Frage, wie verantwortungsbewusst und solidarisch der einzelne Bürger sich der Gemeinschaft gegenüber verhalten soll oder muss.

Solidarität ist es auch, was die Gegner der sogenannten Corona-Spaziergänge bei deren Teilnehmern einfordern. Wie zum Beispiel das Bündnis „Ingolstadt ist bunt“, in deren Namen die Linken-Stadträtin Eva Bulling-Schröter jetzt einen offenen Brief auf den Weg gebracht hat, dessen Ziel es ist, möglichst viele Unterstützer für die Kampagne zu finden, um damit zu dokumentieren, dass eine „Mehrheit der Bevölkerung sehr wohl hinter dem Schutz vor Corona steht, auch wenn es nicht immer leicht und angenehm ist.“

„Mit Unverständnis, Sorge und immer größerem Entsetzen beobachten wir die wiederholten Corona-Spaziergänge durch Ingolstadt und viele weitere Städte“, heißt es in dem Brief, „seit vielen Monaten befinden wir uns in einer Pandemie und seit Kurzem spitzt sich die Situation zu wie nie zuvor. Die Krankenhäuser arbeiten am Limit und die Belastung der Pflegekräfte ist an einer Grenze, die für die gesamte Gesellschaft bedrohlich und anteilig bereits überschritten ist. Ausgerechnet in dieser Zeit gehen einige der Ingolstädter Mitbürgerinnen und Mitbürger auf die Straße und tragen damit erst recht zur Verbreitung des Virus bei. Zu den Spaziergängen rufen auch rechtsextreme Kräfte aus und haben jüngst in Reichertshofen dabei auch Flugblätter verteilt.“

Diese Spaziergänge zeigten, dass zum größten Teil nicht auf Abstände und auch nicht auf das Tragen von Masken geachtet würde. „Damit werden sehenden Auges Gefährdungspotentiale für Infektionen in Kauf genommen. Häufig werden bei den Spaziergängen auch Kinder und sogar Kleinkinder mitgenommen. Die unbestreitbaren Gefahren der Pandemie werden dadurch verharmlost, verneint, verleugnet.“

Und weiter heißt es in dem Brief: „Wir sind sauer, wir sind wütend und wir wollen das nicht länger hinnehmen. Wir fordern die Spaziergänger auf, dieses weitere Befeuern und Verharmlosen der Pandemie zu unterlassen. Es gelten Regeln, und die gelten für alle. Wenn eine Versammlung momentan nur unter Auflagen erlaubt ist, dann gilt das für alle. Diese Ungleichbehandlung erzeugt Frust, Unverständnis und stößt alle denjenigen vor den Kopf, die sich seit Monaten an die Einschränkungen halten.“

Ingolstadt dürfe nicht zum Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Coronaleugner werden. „Wir akzeptieren nicht, dass dadurch das Image der Stadt in Mitleidenschaft gezogen wird.“ Die Ignoranz einer Minderheit sorge für ein Bild, das dem Verantwortungsbewusstsein einer großen Mehrheit nicht gerecht werde.

Wer sich dem Aufruf anschließen möchte, der soll eine Nachricht mit Namen und dem Betreff “Offener Brief” an ingolstadtistbunt@gmail.com schicken. Die Unterschriftenliste will das Bündnis dann veröffentlichen.