Brandreden gegen die "Corona-Diktatur"

Wieder Kundgebung vor dem Stadttheater: Vorwurfsvolle Töne und nachdenkliche Stimmen

02.06.2020 | Stand 02.06.2020, 8:31 Uhr
Demo −Foto: Silvester

Wieder Kundgebung vor dem Stadttheater: Vorwurfsvolle Töne und nachdenkliche Stimmen

Von Christian Silvester

Ob Franz Josef Strauß das verdient hat? Eine junge Frau zieht mit dem Mikrofon in der Hand wütend gegen den Staat zu Felde, so wie es sich auch der 1988 gestorbene CSU-Politiker von der Opposition und zahllosen ihn hassenden Demonstranten ständig hat anhören müssen. Doch dann wählt die Rednerin ausgerechnet ihn, Strauß, zum Vorbild, zitiert einen legendären Satz, den der bayerische Ministerpräsident 1986 über Atomkraftgegner gesagt hat: "Wer Menschen in Unsicherheit, Aufregung und Furcht versetzt, betreibt das Werk des Teufels." Das kommt an. Großer Jubel vor dem Stadttheater. Eine späte Ehre für Strauß auf dem Felde des Protestwesens.

Am Samstagnachmittag haben sich hier, grob geschätzt, an die 200 Menschen versammelt, um gegen die Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu demonstrieren. Unter ihnen sind auch sogenannte Impfgegner. Die Teilnehmer erfahren, wie Strauß (der eher kein Impfgegner war) und sein "Werk des Teufels" in diese Schlachtordnung hineinpassen: "Angst macht krank", sagt die Rednerin. Man denke nur an die Kinder, "die auf dem Spielplatz Abstand halten und sich ständig die Hände waschen müssen". Deshalb sei es jetzt wichtig, "laut nein zu sagen". Wieder starker Beifall.

Die Rednerinnen und Redner bilden ein sehr heterogenes Kritikspektrum ab, ihre Beiträge oszillieren zwischen Leidensdruck in der Krise, Sorge um die Grundrechte und allgemeinem Unwohlsein im "System". Mal emotional, mal zu Ungehorsam aufrufend, mal polemisch-konfrontativ. Mancher Vortrag driftet in schillernde Gedankenwelten ab, lässt Feindbilder in kontrastsattem Schwarz-Weiß hervortreten. Die Zuhörer erleben ein Crescendo der Vorhaltungen: Die Infektionsschutzregeln, so die Grundposition der meisten Redner, gefährdeten Grundrechte und Demokratie. Oder hätten sie schon zerstört. "Lobbyisten der Pharmaindustrie" übten unheilvollen Einfluss auf die Regierenden aus, die wiederum "die Medien steuern". Es bedürfe eines "Wiederaufbaus des Rechtsstaats" samt einer "Entautokratisierung".

"Ich will meinen alten Freistaat zurück", ruft ein empörter jüngerer Mann (ob einen mit oder ohne Straußsche Prägung bleibt offen). Und noch etwas liegt ihm am Herzen: "Die Medien müssen endlich an Recht und Gesetz gebunden werden." So viel zu den Grundrechten. Eine Yoga-Lehrerin und Homöopathin klagt, der Staat habe eine "Corona-Diktatur" errichtet, die Einschränkungen seien "Psychoterror hoch zehn".

So geht es eine Stunde dahin. Die Dauer der Kundgebung ist auf behördliche Veranlassung von 90 auf 60 Minuten verkürzt worden, was oft beklagt wird. "Staatliche Willkür", heißt es.

Immer wieder geht es auch irgendwie ums Impfen. Organisierte Gegner gezielter Immunisierung machen gegen eine Corona-Impflicht Front - obgleich noch ziemlich präventiv, weil es ja keinen Impfstoff gibt; außerdem schließt die Bundesregierung eine Impfpflicht aus. Tobias Schmid, Geschäftsführender Vorstand im Bundesverband Impfschaden, nimmt nach seiner Rede euphorische Ovationen entgegen.

Nicht jeder donnert drauf los. Man hört auch nachdenkliche Stimmen. Eine junge Arzthelferin erinnert an jene, die richtig unter der Virus-Pandemie zu leiden haben: Kranke und medizinisches Personal. Sie berichtet von den dramatischen Wochen des exponentiellen Anstiegs der Corona-Infektionszahlen im März, von Zuständigkeitswirrwarr, ja "Chaos in den Behörden" und Arbeit in der Praxis bis zur Erschöpfung ohne ausreichende Schutzkleidung. "Wir haben für Tausende Euro Ausrüstung bestellt, in der Hoffnung, dass irgendeine Lieferung schon kommen wird. Wir haben einen Versorgungsauftrag zu erfüllen!" So etwas dürfe nie wieder passieren.

An Rande der Kundgebung sitzt ein älteres Ehepaar. Sie fühlten sich gekränkt von der Berichterstattung über die Corona-Demonstrationen, erzählen die beiden. "Wir werden immer gleich als Verschwörungstheoretiker hingestellt, nur weil wir Kritik üben. Aber wir sind keine Verschwörungstheoretiker." Sie wollten niemandem etwas Böses, sondern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Entscheidung wahrnehmen.

In den Reihen der Kundgebungsteilnehmer bleibt es friedlich. Die Polizei muss - so weit es zu erkennen ist - nicht einschreiten und bekommt am Ende von einer Mitveranstalterin über die Lautsprecher ein Dankeschön übermittelt.