Rückgang an Insekten und Vögeln ist längst auch in der Region deutlich erkennbar
Besorgniserregende Entwicklung

30.05.2023 | Stand 30.05.2023, 7:24 Uhr
Nachtschicht an der Lichtfalle: Robert „Dackel“ Hirmer beobachtet und fotografiert die Fauna in der Region seit Jahren. Besonders gut kennt er sich mit Vögeln und Insekten aus und stellt fest, dass viele Arten verschwunden sind oder zumindest seltener werden.  −Foto: privat

Von Johannes Hauser

Forschungen haben das „Insektensterben“ längst verifiziert. Das Ausmaß ist dramatisch. Manche Experten gehen von einem Rückgang von bis zu 80 Prozent aus. Wer sich jetzt über weniger Mücken im Schlafzimmer und saubere Autoscheiben freut, denkt zu kurz. Insekten sind nicht nur wichtig als Bestäuber von Pflanzen, sie sind elementarer Bestandteil des Ökosystems. Längst geht etwa auch die Zahl der Vögel zurück, denen die Krabbler als Nahrung dienen. 

Robert „Dackel“ Hirmer kennt sich mit Insekten und Vögeln aus wie kaum jemand. Seit Jahren beobachtet und fotografiert er die heimische Fauna und kann berichten, dass das große Sterben längst auch die Tierwelt in der Region erfasst hat. Wenn er nachts seine Insektenfallen aufstellt, um Falter zu beobachten, wimmelt es an den beleuchteten Tüchern längst nicht mehr so wie einst. „Was früher selten war, ist heute verschwunden, und was früher häufig war, ist jetzt selten“, so fasst Hirmer seine Beobachtungen zusammen. „Es ist wirklich krass.“An den Futterstellen, die der Vohburger entlang der Donau aufgestellt hat, finden sich immer weniger Vögel ein. Auch die Vielfalt sei zurückgegangen. 

„Landwirtschaft produziert, was die Gesellschaft verlangt“
Zuletzt hat die Veröffentlichung eines Forschungsteams des Institut des Sciences de l’Évolution de Montpellie einige mediale Aufmerksamkeit bekommen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machen die Landwirtschaft als eine Hauptursache des Insekten- und Vogelsterbens aus. Dackel Hirmer leuchtet das ein. „Pestizide sind überall. Sie werden auf einsamsten Berggipfeln gemessen.“ 

Dieter Jungwirth ist Entomologe. Der Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und dem Artenschwund werde schon lange gesehen, sagt der Insektenforscher. Schon im Jahr 1859 haben Käferforscher rund um München darauf aufmerksam gemacht, berichtet er. Schuld seien aber nicht „die Landwirte“, betont Jungwirth, sondern eher „die Landwirtschaft“ und wie sie betrieben werde. Und daran hätten die Verbraucher einen gewichtigen Anteil. „Die Landwirtschaft produziert, was die Gesellschaft verlangt“, sagt der Wissenschaftler. „Die Bauern haben es sich zum Beispiel nicht ausgedacht, dass aus dem wöchentlichen Sonntagsbraten die tägliche Leberkässemmel geworden ist.“

Die nachgefragten Erträge und Preise seien aber nicht ohne den Einsatz mächtiger Maschinen auf großen Feldern zu erzielen, so Jungwirth. Das mache auch Pestizide und Dünger notwendig. Hinzu kommen der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen und der Flächenverbrauch – zumal in einer Boomregion wie Ingolstadt – , die Vögeln und Insekten das Leben schwer machen. 

Bauern sehen sich „zwischen den Fronten“
Johannes Scharl, Obmann des Bayerischen Bauernverbandes Eichstätt, hört den Vorwurf, die Landwirtschaft sei Schuld am Insekten- und Vogelsterben, freilich auch nicht zum ersten Mal. Er rät zu einer „differenzierten Betrachtung“ und zieht die Methodik so mancher vielzitierten Studie zum Thema in Zweifel. So gebe es eine wenig beachtete Korrelation zwischen dem Rückgang der Viehhaltung und dem Insektenschwund. 

Misthaufen, die immer weniger werden, seien etwa eine gute Brutstätte für viele Insekten. Dass es weniger Vögel gebe, liege seiner Beobachtung nach auch an einer Zunahme von Greifvögeln, dem Rotmilan etwa, und Nesträubern wie Elstern. Und bei den eingesetzten Pestiziden – Scharl spricht lieber von „Pflanzenschutzmitteln“ – sei überhaupt nur ein Bruchteil Insektizide. Gesunde Lebensmittel setzten voraus, dass Getreidefelder nicht mit anderen Pflanzen versetzt seien, so Scharl.

In der konventionellen Landwirtschaft werde das mit Pflanzenschutzmitteln erreicht. Als Landwirt sieht er sich und seine Berufsgenossen„zwischen den Fronten “ von Naturschutz und den Ansprüchen der Lebensmittelindustrie sowie Verbrauchern. In jüngster Zeit werde der Landwirtschaft auch in Sachen Versorgungssicherheit – Stichwort Energiepflanzen – zunehmend Verantwortung zugesprochen. 

Was also kann die Landwirtschaft zu einem verbesserten Arten- und Tierschutz beitragen? „Weiter das tun, was wir ohnehin schon tun“, sagt Scharl. Er verweist unter anderem auf den Vertragsnaturschutz. Er selbst beteilige sich an Experimenten der regenerativen Landwirtschaft, bei der auf einem Feld das ganze Jahr über verschiedene Pflanzen wachsen. Die so genannte Untersaat und Zwischenfrüchte etwa auf einem Rapsfeld stärke die Artenvielfalt vor allem der Insekten. 

Den Optimismus, dass solche Maßnahmen reichen, um das Insektensterben tatsächlich einzudämmen, teilen nicht alle. „Viele Landwirte beharren darauf, weiterzumachen wie bisher“, sagt Dackel Hirmer. „Das wird nicht reichen.“ Noch sind Windschutzscheiben jedenfalls weiter auffallend sauber.

Wertvolle Randerscheinung
Insekten und andere Tiere, die auf Feldern keine Lebensgrundlage oder Ruhe finden, weichen – wo es sie gibt – oft in bewachsene Feldraine oder kleine Brachen aus. Die werden allerdings manchmal abgemäht oder gar gemulcht, das Schnittgut also kleingehäckselt. Gegen diese Praxis kämpft seit Jahren mit Verve der passionierte Jäger und Naturfreund Wendelin Schleicher. Der Mai, wenn die erste Ernte ansteht, sei ein „Katastrophenmonat“ für Insekten und Wiesenbrüter, sagt er. Es sei deswegen unerlässlich, dass zumindest die Grünstreifen entlang von Feldwegen stehen bleiben. Insekten- und Vogelexperte Robert „Dackel“ Hirmer sieht das ganz genau so. „Grünflächen, auch Straßen- und Wegränder, werden mit wachsender Begeisterung viel zu häufig und zu großflächig abgemäht“, sagt er. Dabei gebe es gerade hier „im Gegensatz zu landwirtschaftlichen Monokulturen noch echte Vielfalt“, auch wenn die Lebensbedingungen in den Streifen nicht gerade ideal seien. „Trotzdem existieren hier deutlich mehr Arten als auf ,tot gespritzten’ oder versiegelten Flächen“, schreibt er.

Johannes Scharl vom Bayerischen Bauernverband erklärt, dass Feldränder gemäht werden müssen, um zu verhindern, dass Samen in die Anbauflächen geweht werden und die Ernte so verunreinigt wird. Allerdings räumt er ein, dass es der ein oder andere Bauer dabei übertreibt. Tatsächlich gilt es manchen als „schlampig“ oder „unordentlich“, wenn die Säume nicht abgemäht sind. „Es ist wie in den Vorgärten“, sagt Scharl. „Der eine lässt eine Wiese stehen und ein anderer legt einen Steingarten an, damit alles ,sauber’ aussieht.“ 

Monitoring des Landesamtes für Umwelt
Mit dem erfolgreichen Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen“ wurde die bayerische Staatsregierung 2019 gezwungen, das Naturschutzgesetz im Freistaat zu verschärfen. Mit den Vorgaben soll vor allem dem massiven Rückgang von Insekten entgegengewirkt werden. Unter anderem regeln sie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und haben den Ausbau des Biotopverbunds sowie von Blühflächen und Gewässerrandstreifen zum Ziel. Ob diese Maßnahmen erfolgreich sind, soll unter anderem ein Monitoring zeigen. 

Bundesweit wurden dazu 1000 je einen Quadratkilometer große Stichprobenflächen zufällig ausgewählt. 188 liegen in Bayern, eines auch bei Etting. „Untersucht werden soll auch der Einfluss von Faktoren wie Landnutzungs-, Lebensraum- oder Klimawandel auf den Insektenbestand“, schreibt das Landesamt für Umwelt.

Auf der Ettinger Flur ist derzeit eine so genannte Malaise-Falle zu sehen. Mit ihr werden Fluginsekten gefangen. Sie flattern in den abgedunkelten Bereich unter einem Zelt und werden dann vom Licht nach oben gelockt, wo sie in einem mit Alkohol gefüllten Behälter landen. Die Masse der gefangenen Insekten wird gewogen und die Arten mittels Genanalyse bestimmt.