Die Welt durch die VR-Brille
Audi stellt den Activesphere Concept vor: So fährt man in fünf bis zehn Jahren

26.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:33 Uhr

Der Audi activesphere concept macht sich gut in einer wildromantischen Bergwelt. Fotos: Audi

Wer kennt noch Franz Josef Strauß? Der 1988 verstorbene bayerische Ministerpräsident neigte zum Latinisieren; und vielleicht hätte er eine „contradictio in adiecto“ erkannt, einen inhärenten Widerspruch, während er seinen Leib in den Audi Activesphere gedrückt hätte. Am Donnerstagabend stellte Audi das Fahrzeugkonzept vor.



Denn trotz des Namens „Activesphere“ bleibt der Fahrer in diesem Modell erstmal völlig passiv. Das vom Ingolstädter Autohersteller Audi vorgestellte Fahrzeugkonzept (das vierte in einer Reihe nach dem Skysphere, dem Grandsphere und dem Urbansphere) bietet nichts, woran man sich festhalten kann – kein Lenkrad, keine Hebel, keine Knöpfe.

Bedienen wie ein Jedi-Meister



Braucht es auch nicht, denn fahren wird der Activesphere, sollte das Konzept in fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen, ganz allein. Autonom auf dem sogenannten Level 4. Das heißt, man muss eigentlich nur noch sagen/eingeben, wo man hin will; den kompletten komplexen Rest macht das Auto allein. Im Augenblick gibt das die Straßenverordnung nicht her, und ob und wann es in Deutschland so weit kommen wird, steht in den Sternen.

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Noch mehr nach Sternenkrieg und Science Fiction fühlen sich die Bedienelemente des Audi Activesphere Concept an. Wie ein Jedi-Meister greift man in die Luft, um die gewünschten Energieen zu aktivieren: etwa zum Heizen, zum Fahrmodus-Einstellen, zum Ändern des Lichtkonzeptes. „Mixed Reality“ nennt sich das Konzept. Das bedeutet: Der Fahrer (wenn man will auch der Beifahrer) hat eine VR-Brille (VR bedeutet „virtual reality“) auf, die das Cockpit des Fahrzeugs vor seine Augen projiziert. Im Gegensatz zu älteren VR-Brillen kann man mit dem von Audi verwendeten Modell aber nicht nur virtuelle Welten beobachten, sondern auch darin Veränderungen vornehmen. Man zieht sich also virtuell ein Bedienelement heran und dreht daran herum ‑– und das Auto wird wärmer. Zum Beispiel. Man aber auch eintauchen in die unendlichen Weiten des Internet und mit der Hightech-Brille in dreidimensionaler Darstellung den gerade angesteuerten Urlaubsort erkunden oder die nächste funktionierende Ladesäule suchen.

Antrieb auf PPE-Plattform aufgebaut

Denn fahren soll der Audi Activesphere natürlich elektrisch. Die Basis für das Antriebssystem stellt dabei die von Audi gemeinsam mit Porsche entwickelte Premium Platform Electric (PPE). Diese Plattform soll schon bei den kommenden Audi-E-Modellen Verwendung finden und kann an verschiedene Fahrzeugtypen angepasst werden. Dabei sitzen die Motoren an den beiden Achsen und die Batterie liegt dazwischen. Bei der Reichweite gehen die Planer von 600 Kilometern aus; eine geeignete Ladeinfrastruktur vorausgesetzt soll ein Aufladen für 300 Kilometer Reichweite in zehn Minuten möglich sein.

Noch ein paar Zahlen: 325 kW also 440 PS ist der Audi Activesphere Concept stark, 4,98 Meter lang, 2,07 Meter breit und 1,60 Meter hoch. Bei einem Radstand von relativ langen 2,97 Metern. Das Modell bietet also Platz zum Relaxen – mit der VR-Brille auf der Nase, die wohl in einigen Jahren kaum anders aussehen wird als heutzutage eine handelsübliche Sonnenbrille. Vielleicht werden auch zwei Designstücke in einigen Jahren handelsüblich, die man jetzt noch als feine Spezialität des Audi Activesphere Concept wahrnimmt: Zum einen kann man in ihm tatsächlich auch „ganz normal“ fahren; bei Bedarf lassen sich Lenkrad, Armaturenträger und Pedale wie aus dem Nichts für den Fahrer herausklappen. Zum anderen lässt sich das Heck mit einem Druck oder Klick oder Befehl in ein Pick-Up-Heck verwandeln, bei dem der Fahrgastraum wieder abgeschlossen ist und beispielsweise zwei Räder (mit abgenommenen Vorderrädern) aufgeladen werden können.

Fahrendes Wohnzimmer braucht Platz



Ersonnen wurde dieses Konzept im gerade als besonders hip apostrophierten Audi Design Studio im kalifornischen Malibu. Ziel beim Design war ein Zusammenklang verschiedener Elemente, wie Studioleiter Gael Buzyn über den Audi Activesphere Concept sagt: „Er stellt eine neue Form des Crossovers dar, die geschickt die Eleganz eines Audi Sportback, die Vielseitigkeit eines SUV und echte Offroad-Fähigkeiten miteinander kombiniert.“

Wobei auf den ersten Blick die Crossover-Wucht dominiert. Ein fahrendes Wohnzimmer braucht nun mal Platz. Mag sein, dass es sogar den ein oder anderen unverbesserlichen Verbrenner-Romantiker gibt, der sich das Auto heimlich mit einem antiken V-8-Motor erträumt, während er an die Mittelkonsole greift, die nun nicht mehr die Kardanwelle verbirgt, sondern gekühlte oder erhitzte Getränke bereithält.

Gebrochen wird die muskulöse Form aber durch eine fast schon filigrane Glas-Architektur bei der Ausgestaltung der Karosserie. So ist der typische Audi-Singleframe, den Älteren noch als Kühlergrill bekannt, hier als transparentes Glas-Element ausgeführt; viel Glas gibt es auch am Dach und am Heck, sogar im unteren Türbereich; dort, wo der Activesphere die „Zahnelemente“ zwischen Boden und Seitenteilen öffnen und und so in den Offroad-Modus „hochfahren“ kann.

Ein Blick in die Zukunft?

Es ist in der Tat in vielen Bereichen recht futuristisch, was Audi hier mit dem Activesphere Concept vorstellt. Aber wer hätte vor 80 Jahren gedacht, dass bald in jedem Wohnzimmer ein „Flimmerkasten“ stehen würde, mit dem man live Fußballspiele vom anderen Ende der Welt verfolgen würde? Und wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass man bald ein Kästchen haben würde, mit dem man videotelefonieren, bezahlen und die Wohnung vermessen kann?

DK