Audi-Prozess um den Dieselskandal: Frage nach den Verantwortlichkeiten längst nicht geklärt

Von Chefs, Chefchefs und Chefchefchefs

18.11.2020 | Stand 18.11.2020, 8:20 Uhr
−Foto: Hauser/Eberl

Von Chefs, Chefchefs und Chefchefchefs

(ty) Es mutete wie ein Kampf gegen Windmühlen an, über den Henning L. am Dienstag im Münchner Audi-Prozess vor der 5. Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München II berichtete.

Im ersten Prozess auf deutschem Boden um den Dieselskandal schilderte der früher im Haus der Ringe für die Diesel-Abgasnachbehandlung zuständige Chemiker, wie illegale Manipulationen bei den Ingolstädter und Neckarsulmer Autobauern über Jahre hinweg gepflegt worden waren, anstatt nach vielen Hinweisen nicht nur aus den eigenen Reihen endlich klar Schiff zu machen. Wer jedoch letztlich die Order gegeben hatte, die verbotene Technik auf den Weg zu bringen und weiter voranzutreiben, blieb auch am zehnten von 182 geplanten Verhandlungstagen offen.

Neben dem 53-jährigen L. sitzen sein früherer Chef Giovanni P. , der Ex-Porsche-Vorstand und ehemalige Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, sowie der Ex-Audi-Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler auf der Anklagebank. Der Vorwurf lautet unter anderem auf Betrug. Werksintern waren die Machenschaften bereits 2008, noch in der Entwicklungsphase, klar als Betrugsvorrichtungen erkannt worden, hatte L. vorige Woche ausgesagt. Doch auch von außen kamen Hinweise: Der 53-Jährige berichtete am Dienstag von einem Medienbericht, wonach der ADAC schon 2010 bei einem VW Passat 2.0 einen Stickoxidwert im Fahrbetrieb gemessen hatte, der um das 15-fache über dem Euro-6-Grenzwert lag. Schon damals war gemutmaßt worden, dass wohl zu wenig Adblue, eine Harnstofflösung zur Stickoxidreduzierung, verwendet würde. Genau das war der Fall, weil die Größe des Adbluetanks aus diversen Gründen massiv gedeckelt worden war. Man habe also bereits vor zehn Jahren die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, doch Behörden und Politik hätten das laufen lassen, sagte L. "Man hat es der deutschen Autoindustrie schon einfach gemacht. "

Mahnende Stimmen aus unteren Audi-Etagen seien ungehört verhallt. Stattdessen seien die Programme zur Testerkennung immer mehr verfeinert worden, damit Fahrzeuge auf der Rolle alle Vorgaben beim Schadstoffausstoß einhielten, während sie auf Straße oft viel zu hohe Werte aufwiesen. "Das hat sich ausgebreitet wie ein Geschwür. " L. sprach immer wieder von "man hat. . . " oder ebenso allgemein von "Chefs", "Chefchefs" oder gar "Chefchefchefs" - aber wer genau sind die Verantwortlichen? Mehr konkrete Namen hatte sich zuletzt schon das Gericht vom ihm gewünscht.

Der 53-jährige ehemalige Abgasnachbehandler nannte zumindest einige mutmaßlich Beteiligte: So soll unter anderem der spätere Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch ebenso informiert gewesen sein wie einer seiner Vorgänger, Ulrich Hackenberg. Für Letzteren hatte L. nach eigener Schilderung Ende 2013 eine Präsentation erstellt. Er nannte sie "eine große Beichte. Ich wollte aufzeigen, was das für ein Wahnsinn damals war. Bis zu Hackenberg war alles informiert, dass wir unzulässig unterwegs sind, doch es ist nichts passiert. " Auch andere Vorgesetzte seien in "Frustmails" auf die Missstände hingewiesen worden. Der Name Stadler fiel am Dienstag in diesem Zusammenhang vor Gericht nicht.

Als der Betrug im Herbst 2015 schließlich aufgeflogen war, kam Hektik im Hause Audi auf. "Alle - auch ich - haben Zeug rumgetragen und entsorgt, das war wie eine Massenpsychose", erklärte Henning L. Bis die Order kam, es dürften keine Daten mehr vernichtet werden. "Es hat sich ohnehin alles wiederherstellen lassen. " Ex-Audi-Chef Rupert Stadler habe eine zur internen Aufarbeitung der Manipulationen eingerichtete Task Force aufgefordert, "alles vollumfänglich offenzulegen und auf den Tisch zu bringen. Da habe ich mich erleichtert gefühlt", sagte der 53-jährige. Der Prozess wird diesen Mittwoch fortgesetzt.