Audi-Prozess: Die Fronten formieren sich

11.10.2020 | Stand 11.10.2020, 15:37 Uhr
Stadler vor Gericht
Rupert Stadler steigt am Mittwochmorgen aus dem Mercedes und geht schweigend ins Gericht. Fragen von Journalisten ignoriert er −Foto: Schmidt

(ty) Technik kontra Führung

Die Schlacht hat begonnen, geschlagen ist sie noch lange nicht. Nach drei Tagen im Audi-Prozess vor der 5. Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München II lässt sich natürlich nicht sagen, wohin es juristisch geht, dazu ist es viel zu früh. Aber die Fronten scheinen sich langsam zu formieren.

Und es zeichnet sich ab, dass der erste Schuss des Verteidigerduos von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler als einem von vier Angeklagten zur Aussetzung des Verfahrens wohl ins Leere geht. Dem früheren Vorstandsvorsitzenden wird bekanntlich vorgeworfen, den Verkauf und die Bewerbung von Dieselautos mit illegaler Abgastechnik nicht gestoppt zu haben, nachdem der Dieselbetrug im September 2015 in den USA bekannt geworden war. In einem heftigen Frontalangriff hatten Thilo Pfordte und Ulrike Thole - wie bereits berichtet - in ihrer Auftakterklärung versucht, den Prozess gegen ihren Mandanten Stadler zu kippen, und volle Breitseite gegen die Staatsanwaltschaft geschossen.

Der jetzt angelaufene Prozess sei aus ihrer Sicht "eklatant rechtswidrig", man enthalte ihnen Akten zur Einsicht vor, man habe es von vorneherein auf Stadlers Festnahme - er saß monatelang in U-Haft - als Galionsfigur in dem Verfahren abgesehen, er werde "grob unfair" behandelt, die Anklage sei eine "Aneinanderreihung von Indizien und Vorwürfen ohne griffige Beweise" und "befindet sich in Schieflage". Kurzum: Pfordte will die Hauptverhandlung gegen Stadler ausgesetzt und abgetrennt wissen. Das Ganze hätte mit dem Verfahren gegen Stadlers früheren Vorstandskollegen Bernd Martens verknüpft gehört, dem Ähnliches vorgeworfen wird. Staatsanwalt Dominik Kieninger konterte am Mittwoch, seine Erklärung am Ende eines anstrengenden Verhandlungstages ging beinahe unter.

Was hier vorgebracht werde, sei nicht neu, das habe die Verteidigung schon früher moniert, unter anderem im Zwischenverfahren - so bezeichnen Juristen den Vorgang, wenn das Gericht über die Zulassung einer Anklage entscheidet. Die Kammer habe alle diese Einwände geprüft und abgewiesen, sprich die Anklage zugelassen. Die Haftbeschwerde Stadlers war laut Kieninger sogar bis vors Bundesverfassungsgericht gegangen und erfolglos geblieben. Der Staatsanwalt sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang", als es um eine Stadler vorgeworfene (und von ihm stets bestrittene) Verdunklungshandlung ging, wonach er damit gedroht haben soll, einen mit den Behörden kooperierenden Mitarbeiter zu beurlauben.

Der Anklagevertreter merkte weiter an, nach dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen gehandelt zu haben, indem Stadler jetzt vor Gericht sitzt. "Bemerkenswert ist, dass mit der Erwiderung der Staatsanwaltschaft der Verdacht der Verteidigung bestätigt wurde, dass die Existenz eines Haftbefehls erforderlich ist, um die jetzige Führung des Verfahrens gegen Herrn Stadler zu rechtfertigen", sagte Pfordte unserer Zeitung. Er steht zudem nicht allein mit seiner Kritik. Gerson Trüg als Vertreter von Wolfgang Hatz hatte genau ins selbe Horn gestoßen, wenn auch bei weitem nicht so heftig. Er hatte von einer "eher einseitigen Interpretation der Dokumente" gesprochen und eine "Schwäche bei der Beweisführung" erkannt, ihm sei ebenfalls ein Teil der Akten vorenthalten worden. Die Strafkammer hat bisher nicht über Pfordtes Anträge entschieden.

Vieles deutet darauf hin, dass der Vorstoß weitgehend ohne Erfolg bleibt. Plan A, den Prozess gleich zu Beginn zu kippen, wäre damit gescheitert. Im ersten deutschen Gerichtsverfahren im Dieselabgas-Skandal geht es um die Vorwürfe des Betrugs, der mittelbaren Falschbeurkundung und strafbaren Werbung gegen Stadler, den früheren Porsche-Vorstand und Ex-Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz (61), den ehemaligen Dieseltechnik-Teamleiter bei Audi, Giovanni P. (63), und dessen damaligen Mitarbeiter Henning L. (52). Die Frontlinien im weiteren Verfahren dürften mitten durch die vorgegebene Sitzordnung verlaufen: Hatz und Stadler haben jeweils mit dem Gesicht zur Strafkammer Platz genommen, die zwei Ingenieure P. und L. befinden sich zu ihrer Linken seitlich zum Gericht.

Die Techniker haben bereits zu verstehen gegeben, dass sie aussagen werden, den Anfang machte am Mittwoch Giovanni P. Der 63-Jährige ließ keine Zweifel an seiner Stoßrichtung: Die Manipulationen an den Abgasanlagen seien nicht auf seinem Mist gewachsen, das sei "Konzernphilosophie" gewesen. Er habe nur getan, was von oben angeschafft worden war. Aber schützt ihn das vor Strafe? Kann er sich auf einen "Verbotsirrtum" berufen, wie sich das im Strafgesetzbuch nennt? Paragraf 17 sagt: "Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. " Und weiter: "Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe ? gemildert werden. " Das Gericht wird dies zu klären wissen.

Es war wohl ein schleichender Prozess, der zur Entwicklung der zur Diskussion stehenden Betrugssoftware geführt hat, wie aus vielen Beweismitteln hervorgeht. Ist dieses Handeln, sofern sich die Vorwürfe bewahrheiten, aus einem überbordenden "Mia san mia"-Gefühl innerhalb von Audi heraus entstanden? So, wie es vielfach in Gesellschaft, Politik und Sport geschieht, wenn es gut - zu gut - läuft, wenn sich Arroganz, Selbstüberschätzung und Überheblichkeit breit machen. Uns kann ja keiner, hier schaffen wir an! Und das nicht nur hinter den Werkstoren, wie zwei Schlaglichter zeigen. Ein Handwerker aus dem Raum Ingolstadt machte 2019 ein Fass auf, als er sich auf seiner Internetseite rigoros weigerte, Audi-Ingenieure zu bedienen. Eine grobe Pauschalierung, zweifellos, aber er habe einfach keine Lust mehr, "für diese arroganten Besserwisser" zu arbeiten.

Die Stadt Ingolstadt hat ebenfalls so manche Erfahrung mit dem Selbstverständnis ihres größten Gewerbesteuerzahlers gemacht, etwa als ein früherer CSU-Kreisvorsitzender monierte, das Engagement des Automobilbauers beim öffentlichen Nahverkehr - Thema Schichtbusse - sei "lächerlich". Postwendend kam aus der Vorstandsetage des Hauses mit den vier Ringen der "Hammer" mit der offenen Drohung des Stellenabbaus am Hauptstandort. Was in Sachen Abgasaffäre tatsächlich im Werk abgegangen ist, kann im laufenden Verfahren wohl am besten der vierte Angeklagte erläutern, der Ingenieur Henning L. , ein seriös wirkender, ernster Mann.

Es ist ihm ein persönliches Anliegen, Licht ins Dunkel zu bringen, sagt sein Verteidiger Maximilian Müller: "Nach meiner Einschätzung kommt Herrn Dr. L. eine Schlüsselrolle bei der Aufarbeitung des Dieselskandals zu. " Sein Mandant habe eine Präsentation vorbereitet, um alle ihm bekannten Vorgänge darzustellen. Deren Vortrag soll drei Verhandlungstage in Anspruch nehmen, L. wird sich vermutlich auch zur Rolle der oberen Audi-Etagen im Abgasskandal äußern.

Sein umfangreiches Wissen hat, so war zu hören, erst zum echten Verständnis technischer Zusammenhänge bei der Staatsanwaltschaft beigetragen. "Mein Ziel ist es, wie bereits in den USA geschehen, soweit wie möglich Antworten auf alle Ihre Fragen zu liefern, um damit meinen Beitrag zur Aufklärung des Dieselgates bei Audi zu liefern", sagte L. den Ermittlern vor seiner ersten Beschuldigtenvernehmung am 1. August 2017. Und er fuhr fort: "Aber auch um meine Seele ein wenig von Ballast zu befreien. " Es bleiben ihm und allen anderen noch 178 Prozesstage Zeit.